Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
»Ich bin Ihnen gar nichts schuldig, Baruch.«
Mit diesen Worten ging er.
Elaysin folgte ihm, und Jeremiel hörte, wie die Tür geschlossen und ein Riegel vorgeschoben wurde. Er ließ sich zur Seite fallen und rollte sich vor Schmerz keuchend auf den Rücken. Seine Arme konnte er weder spüren noch bewegen, doch er rutschte solange herum, bis sie ausgestreckt neben ihm lagen.
»Rudy …«, stöhnte er leise. »Verdammt, Rudy. Du hast wieder einmal Recht gehabt.«
Er starrte den flackernden Widerschein der Flammen an, der über die steinerne Decke huschte, und lauschte dem dumpfen Schlag seines Herzens.
Die langgestreckte, zigarrenförmige Höhle roch nach trockenem Staub, doch auch der metallische Duft frisch geölter Waffen mischte sich darunter. Harper räusperte sich und warf einen geistesabwesenden Blick auf die Spinnweben an der Decke.
»Tut mir leid«, sagte er. »Ich hätte gern mehr Informationen beschafft, wäre es mir möglich gewesen.«
»Zum Teufel damit, Harper«, erklärte Janowitz, ein untersetzter blonder Mann, dessen Finger auf dem Abzug seines Gewehrs lag. »Wir wußten schließlich schon seit langem, um was es geht, und wir waren die ganze Zeit einsatzbereit.«
Harper klopfte ihm herzlich auf die Schulter. »Das wußte ich. Abba hat die besten ausgewählt.«
Während sie die Reihe der hier versammelten Männer abschritten, blickte Harper jedem einzelnen in die Augen und versuchte, ihm etwas von der Zuversicht zu vermitteln, die er selbst empfand. Sobald sie erst die grauen Uniformen der persönlichen Leibwache des Mashiah angezogen hätten, würde er anfangen zu beten. Es waren ihrer nicht sehr viele, aber sie waren weiß Gott besser ausgebildet als jeder andere auf Horeb. Wenn es ihnen gelang, die Palastwache auch nur für fünfzehn Minuten zu täuschen, würden sie beweisen, daß sie ein höllisches Einsatzteam waren.
Als er seine Inspektion beendet hatte, stieß er einen schweren Seufzer aus. »Noch Fragen?«
»Nur eine«, sagte Janowitz. »Wann sollen wir zuschlagen?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich warte noch auf ein weiteres Signal von Rathanial. Bereitet euch darauf vor, jederzeit auszurücken.«
Die Männer nickten, lösten ihre Formation auf und begaben sich zu den Tischen, wo sie so viele der kleinen Päckchen und Reservemagazine aufnahmen, wie sie in ihrer Kleidung verbergen konnten.
Träume von Shadrach suchten Rachels Schlaf heim.
Sie ging voller Angst durch die Küche ihres alten Hauses und versuchte, sich durch die noch immer warmen Balken, die den Boden bedeckten, einen Weg ins Schlafzimmer zu bahnen. All ihr Geschirr war zerschmettert worden, und die Splitter waren überall im Haus verstreut.
»Shadrach?« rief sie in die Stille. Irgend etwas in ihrem Innern sagte ihr, daß er verletzt worden war, doch sie konnte sich nicht erinnern, wann und wo das geschehen war. War er hier gewesen, als sie das Haus angezündet hatten?
Sie zerrte an einigen rauchgeschwärzten Brettern, die ihr den Weg ins Schlafzimmer versperrten. »Ich … ich muß dort hinein.«
Es gelang ihr, eines der Bretter zu lösen und in die Dunkelheit dahinter zu schlüpfen. Der Gestank von Rauch und zerschmolzenem Plastik stach ihr in die Nase.
»Shadrach?«
Ihr Fuß stieß gegen ein Stück der zusammengebrochenen Wand. Sie tastete sich um das Hindernis herum und arbeitete sich weiter vor.
Ein schwaches Rascheln drang aus einer Ecke. Rachels Herz setzte für einen Schlag aus. Sie wußte, das war er! Der Wandschrank? Hatte er sich im Wandschrank versteckt?
»Shadrach!« rief sie und stolperte vorwärts. »Antworte mir!«
Ein dünner Lichtstrahl drang durch das zerstörte Dach und fiel auf den Wandschrank. Sie stürzte darauf zu und riß an der verklemmten Tür. »Bist du hier drin, Shadrach? Wo bist du?«
Schließlich gab die Tür nach und ihr Blick folgte dem Lichtstrahl, der sich in die Dunkelheit bohrte.
Ihr Mann hing angekettet an der Wand. Sein einst so muskulöser Körper war vom Hunger ausgezehrt. Leblose, mit Ascheflocken bedeckte Augen starrten sie an.
Sie erwachte mit einem Schrei und blickte orientierungslos auf die prachtvolle Ausstattung ihres Zimmers im Palast des Mashiah. Die smaragdgrüne Decke ihres Bettes schimmerte im Licht des noch immer glühenden Kamins.
»O Shadrach«, stöhnte sie, drehte sich zur Seite und vergrub das Gesicht im Kissen.
Ein kühler Windhauch drang durch das offene Fenster. Sie zog die Decke höher und rollte sich zu einer fötalen Haltung
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