Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
zusammen. Ohne es zu merken, preßte sie dabei die Stirn gegen das Mea, dessen blaues Leuchten sofort das Zimmer erhellte. »Epagael«, murmelte sie, »warum geschieht dies alles mit mir?«
Wie eine plötzliche Flut überfiel sie ein weiterer Traum. Sie fand sich in einem langen Tunnel wieder; dunkle Nebel waberten, als wären sie lebendig. Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Es kam ihr so vor, als stünde sie im Auge eines Hurricanes der Zeit. Nichts als wirbelnde Schwärze bot ihren Füßen Halt. »Was ist das für ein Ort?«
Ein sanftes Wispern erklang von überall her. »Du fragst, ›warum‹? Komm zu mir, dann sage ich es dir.«
Erschrocken wich sie zurück. Gott? Obwohl sie die Frage nicht laut ausgesprochen hatte, kam die Antwort sofort.
»Ja. Kommst du?«
Was für eine Art Traum ist das, der die alten und mächtigen Gefühle wiedererweckt, die ich für Epagael hatte? Bilder des Platzes drangen auf sie ein, und sie rief: »Ich will nicht mit dir reden! Du bist ein Ungeheuer! Du quälst uns mit Leid!« Ein Schluchzen drang aus ihrer Kehle. Sie hob eine Faust, um sie zu schütteln …
Und erwachte wieder im Palast. Das Mea glühte so hell, daß sie fast geblendet wurde.
KAPITEL
33
»Sybil!« Avels rauhe Stimme drang in ihren Schlaf.
Sie stieß die Decken beiseite und fragte erschreckt: »Was ist?«
Er zog sie hoch und drückte ihr warme Kleidung in die Arme. »Zieh dich an. Rasch!«
Sie zog sich schnell Hosen und Pullover über und schlüpfte in ihre Schuhe. »Was ist los, Avel? Greifen wir den Mashiah an?«
»Stell jetzt keine Fragen, Sybil.«
Bevor sie ihren linken Schuh richtig zugebunden hatte, zog Avel sie schon aus dem Zimmer und stürmte mit ihr durch den Gang. Sybil folgte ihm ängstlich. Wenn es kein Angriff war, was beunruhigte Avel dann?
Je weiter sie gingen, desto fester umklammerte er ihre Hand, bis sie schließlich schmerzte. Sie versuchte vergebens, seinen Griff zu lockern.
»Avel, wohin gehen wir?«
»An einen sicheren Ort.«
Drei Mönche, die sich auf dem Weg zur Oberfläche befanden, kamen ihnen entgegen. Avel nickte ihnen im Vorbeigehen knapp zu.
Als sie wieder allein waren, schaute Sybil zu ihm auf und bemerkte die scharfen Linien, die sich um seinen Mund gebildet hatten. »Was ist los, Avel? War ich in den oberen Höhlen nicht in Sicherheit?«
»Nicht mehr. Die Dinge verlaufen anders, als wir gedacht hatten. Der Mashiah hat uns gezwungen, unsere Pläne zu ändern.«
»Ist mit meiner Mutter alles in Ordnung?« fragte sie voller Angst. »Hat der Mashiah ihr etwas getan? Sag es mir!«
»Pst!«
Sie verstummte. Avel zog sie um eine Ecke und ging so schnell, daß sie laufen mußte, um nicht zu stolpern. Der Gang, in dem sie sich jetzt befanden, schien sehr alt zu sein.
Dicker Staub bedeckte Wände und Boden, und Sybil mußte husten, als sie ganze Wolken aufwirbelten.
»Avel«, jammerte sie, »ist mit meiner Mutter …«
»Es geht ihr gut, Sybil.« Er schaute sich rasch um und flüsterte dann kaum hörbar: »Mach dir keine Sorgen. Ich bringe dich an einen Ort, den ich schon vor Jahren vorbereitet habe. Es gibt dort Nahrung und Wasser und sogar ein paar Bücher, die du lesen kannst. Dort wirst du in Sicherheit sein.«
Sybil erschauerte. Du, nicht WIR! »Aber du wirst doch auch dort sein, oder?«
»Eine Zeitlang nicht. Ich muß etwas sehr Gefährliches erledigen und kann nicht riskieren, daß dir dabei etwas passiert.«
»Aber ich will nicht allein bleiben, Avel. Laß mich nicht allein! Du hast gesagt, du würdest dich um mich kümmern, als wäre ich deine eigene Tochter!«
»Das tue ich auch, Sybil. Es wird nur für eine Weile nicht so aussehen.«
Sybil wollte ihm glauben, aber sie konnte nicht. Die Art, wie er sie durch die langen, gewundenen Korridore zerrte, machte ihr Angst. Sie sehnte sich nach ihrer Mutter, doch sie unterdrückte tapfer die Tränen, die ihr in die Augen schießen wollten.
»Was hat der Mashiah denn getan?«
»Er hat seine Truppen heimlich zusammengezogen, und zwar in den Höhlen unter dem Palast.«
»Dann müßt ihr ihn früher angreifen, als ihr geplant hattet?«
Er blieb einen Moment am oberen Ende einer Treppe stehen, die aus dem Gestein herausgehauen worden war. Kalte Luft drang aus der Finsternis empor. »Ich weiß es nicht, Sybil. Vielleicht greifen wir auch gar nicht an. Ich muß erst einmal ein paar Dinge klären.«
»Aber wir müssen angreifen! Meine Mommy wartet darauf, daß ihr kommt und sie rettet. Sie kann den
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