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Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Titel: Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen M. O'Neal
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ruppig. »Wenn wir das Tor stürmen, können wir sie unmöglich mitschleppen. Aber wenn wir uns nacheinander hinausschleichen, kann zumindest jeder von uns ein Kind mitnehmen.«
    »Wir müssen die Verwundeten, die nicht aus eigener Kraft laufen können, zurücklassen«, erklärte Rachel kühl und hielt den vorwurfsvollen und feindseligen Blicken der anderen stand.
    Haß zeichnete sich auf den Gesichtern ab, doch Rachel war lediglich verärgert über ihre unvernünftige Einstellung. Ein Blick auf die Sternbilder am Himmel verriet ihr, daß die Morgendämmerung weniger als zwei Stunden entfernt war. Lancer, der Speerwerfer, berührte bereits mit einem Fuß die höchsten Gipfel der fernen Berge.
    Ein Windstoß jagte um den Platz und peitschte den Saum von Rachels blutiger Robe, bis er riß. Der Gestank von Tod und Verwesung überwältigte sie beinahe. Ihr leerer Magen krampfte sich zusammen. Sybil umklammerte das Bein ihrer Mutter und schloß die Augen. Rachel strich ihr sanft über das Haar.
    »Würdest du deine Mutter hier zurücklassen?« fragte die Rothaarige wütend. »Du bist genauso schlimm wie der Mashiah.«
    »Meine Mutter ist an der Seuche gestorben«, entgegnete Rachel ruhig. »Doch wenn sie hier wäre und ich wüßte, es würde für vier oder fünf von euch den Tod bedeuten, sie zu tragen, würde ich sie zurücklassen.«
    »Vier oder fünf? Was redest du da?«
    »Viele von uns, die unverletzt sind, werden stolpern und fallen und dabei andere mitreißen. Nun überleg dir mal, um wieviel langsamer du gehen müßtest und wie schnell du stürzen würdest, wenn du jemanden trägst. Und dann würden gleich zwei Körper die übrigen behindern. Wenn dort draußen ein Hinterhalt wartet, bedeutet ein Sturz den Tod.«
    »Vielleicht gibt es gar keinen Hinterhalt!«
    »Dann können wir zurückkommen und ohne Angst die Verwundeten holen.«
    »Und«, fügte Colin mit hohler Stimme hinzu, »wenn wir die Verletzten zurücklassen und es gibt einen Hinterhalt, werden sie mit Sicherheit sterben.«
    »Ja. Zweifellos.«
    »Was ist mit den Menschen, die dort noch am leben sind?« Der Rotschopf wandte sich um und schaute auf das grausige Bild der aufgedunsenen Leichen, die den Platz bedeckten. Die Toten schienen sich unablässig zu winden und zu zucken, doch bei genauerem Hinsehen erkannte man, daß sich hungrige Nachttiere an ihnen zu schaffen machten. »Ein paar leben sicher noch, sind aber unter den Körpern begraben und zu schwach, um sich selbst zu befreien. Wir sollten den Platz absuchen und rufen. Vielleicht hören wir jemanden antworten.«
    Rachel und Talo schauten sich an und senkten dann den Blick. Niemand unterstützte den Vorschlag der kleinen Frau, denn instinktiv wußten sie, daß eine so langwierige Suche für sie alle den Tod bedeuten würde.
    »Ich … ich muß wenigstens meiner Mutter helfen«, sagte die Rothaarige unsicher. »Ihr anderen seid mir egal!« Sie wandte sich ab und schleppte sich zu den Verletzten hinüber. Als sie die Mauer erreichte, wurde sie von einer dünnen, älteren Frau umarmt. Der Wind trug ihr Schluchzen davon. Es klang wie die klagenden Töne einer Violine.
    Rachel ließ den Blick über die Gruppe schweifen. Furcht und Hoffnung zeichneten sich auf den erschöpften Gesichtern ab.
    Lastende Stille breitete sich aus. Die gierigen Schreie der Vögel, die sich am Fleisch der Toten gütlich taten, wuchsen zu einer gräßlichen Kakophonie aus Krächzen und Zetern an. Der Mond warf geisterhaft silbernes Licht über schlagende Flügel und hackende Schnäbel. Rachel glaubte auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes die geduckte Gestalt eines wilden Hundes zu erkennen. Er mußte auf dem Bauch unter dem Tor hindurchgekrochen sein.
    »Ich … ich werde meinen Onkel tragen«, erklärte ein Junge von vielleicht sechzehn Jahren. Er wandte sich um und ging. Viele andere folgten seinem Beispiel.
    Talo stieß schnaubend die Luft aus. »Rachel, Sie kennen den Mashiah besser als jeder andere von uns. Hat man dort draußen einen Hinterhalt gelegt?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Ist es möglich, daß er uns entkommen lassen will? Vielleicht, damit wir von diesem Massaker berichten und andere dadurch einschüchtern?«
    »Ja«, sagte Colin erleichtert, »das wird es sein. Das ist der Grund, warum das Tor offen ist. Er will, daß wir …«
    »Es ist offen?« fragte Rachel. Die Angst ließ ihre Stimme scharf wie ein Messer klingen. »Hast du das überprüft?«
    »Ja, sofort als ich hier ankam. Es ist zugezogen,

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