Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
buschigen blonden Augenbrauen, »ist kaum etwas, worauf wir warten können. Wir müssen unsere Entscheidungen aufgrund der Informationen treffen, die wir besitzen. Und die deuten im Moment auf Verrat hin.«
»Nun gut.« Rathanial preßte die Hände gegen die Schläfen und drückte so fest zu, als wollte er auf diese Weise einen Gedanken aus seinem Gehirn herausquetschen. »Aber es ist nicht mein Volk, das mich verraten hat! Aber … ja, ich glaube, ich wußte sofort, als Ezarin verschwand, daß der Mashiah irgendwie herausgefunden hatte, wohin ich gereist war. Aber es war nicht Vater Harper. Es … es sind die ›Lauscher‹. Sie sind überall.«
Das unheimliche Glühen, das kurz in den Augen des alten Mannes erschien, ließ Jeremiel aufmerken. »Lauscher?«
»Ja. Schreckliche Dinge. Sie kommen bei Nacht und sammeln sich in den Schatten.«
»Was sind sie?«
»Das wissen wir nicht. Sie sprechen nicht mit uns, und wir können nur selten miteinander reden, ohne daß einer von ihnen auftaucht.«
»Menschlich?«
»Nein … nein, ich glaube nicht.«
Jeremiel runzelte die Stirn und hoffte inbrünstig, der alte Mönch wollte ihm jetzt nicht erzählen, daß es tatsächlich Dämonen gab. Er konnte so ziemlich alles ertragen außer einem Rückzug ins Übernatürliche. »Was dann?«
Rathanial ließ unbehaglich den Wein in seinem Becher kreisen, als ahne er Jeremiels Gedankengänge. »Vielleicht eine Art Spektralprojektion mit sensorischen Fähigkeiten.«
»Eine Projektion?« Ein kaltes Prickeln überlief seinen Rücken, als er sich hektisch im Raum umsah. Die Magistraten verfügten über recht ausgefallene Hilfsmittel, und es wurde erzählt, sie hätten ein spezielles Projekt begonnen, um in die religiösen Systeme der Völker einzudringen, die sie auszuspionieren wünschten. »Hast du hier welche von diesen Lauschern gesehen?«
»Nein, nein, tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Hier auf Kayan habe ich noch keine gesehen.«
»Dann hat also der Projektor, falls es sich um so etwas handelt, eine begrenze Reichweite.«
»Das vermute ich auch. Aber wie auch immer, es handelt sich zweifellos um Werkzeuge des Mashiah oder um Kundschafter, die er ausgeschickt hat, um über unsere Aktivitäten zu berichten.«
Jeremiel warf dem alten Mann einen schrägen Blick zu, trank seinen Wein aus und hob das Mea Shearim abermals hoch. Je näher er es an sein Gesicht brachte, desto heller strahlte der Globus. »Ist dieses ›Tor‹ das einzige, das existiert?«
»Soweit wir wissen, ja. Allerdings besagen die alten Texte, es hätte früher, in der Zeit des Exils, Tausende davon gegeben.«
»Und wie öffnet das Mea Shearim den Weg zu Gott?« Jeremiel wiederholte damit die Frage, die er schon vorher gestellt hatte. Rathanial wurde blaß und fuhr sich mit der runzligen Hand durchs weiße Haar.
»Das weiß niemand. Es ist Teil des Mysteriums von Epagael.«
»Aha«, sagte Jeremiel. Er wischte sich die Brotkrumen von den Händen, öffnete dann seine Gürtelschnalle und drückte auf einen an der Rückseite angebrachten Knopf. Ein leises Summen ertönte und zwei verborgene Schieber glitten an der Frontseite zurück. Er legte das Mea Shearim in die entstandene Öffnung.
»Was ist das?« fragte Rathanial erschrocken.
»Hm? Oh, ein Hand-Corder. Es …«
»Es ist ein Sakrileg, ein heiliges Objekt mit solchen Geräten zu untersuchen!«
»Ja, aber es ist auch faszinierend. Schau dir diese Daten an.« Er drehte den Corder so, daß der Vater die Werte auf dem winzigen Schirm erkennen konnte, und lächelte dann nachsichtig, als ihm klar wurde, daß der alte Mann nicht die geringste Ahnung von der Bedeutung der Symbole hatte und sich zudem auch noch für seine eigene Neugier verachtete. »Soll ich sie für dich interpretieren?«
Rathanials Augen verengten sich vor Aufregung. »Was besagen sie?«
Jeremiel lächelte. Immerhin bedeutete diese Frage einen Schritt in die richtige Richtung. »Die äußere Hülle, also der Globus selbst, besteht aus gekühlten Beryllium-Ionen. Sie scheinen eine Art magnetischer Falle zu bilden.«
»Falle?«
»Ja, die Ionen sind in einer Reihe konzentrischer, sphärischer Schalen angeordnet. Sie bewegen sich wie eine Flüssigkeit entlang ihrer jeweiligen Schale, wechseln dabei aber so gut wie nie zu einer anderen Schale über.« Er blinzelte nachdenklich. »Erinnert mich an Palaia Station.«
Er zögerte und wartete, ob Rathanial etwas sagen würde, doch der Mund des alten Mannes war so fest verschlossen
Weitere Kostenlose Bücher