Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
untersuchte, Proben entnahm und mit der Behandlung begann. Dann ließ der Schmerz nach und verschwand schließlich ganz. Jeremiel stieß ein erleichtertes Seufzen aus.
»Ich habe auch Ihre Mutter gekannt«, sagte der alte Mann plötzlich mit einem entrückten Lächeln auf dem Gesicht.
»Es ist schon sehr lange her, daß ich jemanden getroffen habe, der meine Familie kannte. Insbesondere meine Mutter. Ich kann mich kaum an sie erinnern. Sie starb, als ich vier war.«
»Ja, ja! Mira hatte eine sehr schöne Stimme. Wir haben immer gemeinsam im Tempel gesungen. Oh, das ist schon lange her, aber ich erinnere mich genau. Sie war die beste Vorsängerin, die ich je erlebt habe.«
Jeremiel lehnte sich in seinem Sessel zurück, während die Medi-Einheit ihre Arbeit beendete, und betrachtete die beiden Männer. Der bebrillte Passagier hockte auf der Kante seines Sitzes und hatte einen beinahe liebevollen Ausdruck auf den verwitterten Zügen, wohingegen der andere Jeremiel beäugte, als wäre er eine giclasianische Müllschlange. Ein merkwürdiges Duo, die beiden. »Entschuldigen Sie, aber kenne ich Sie?«
»Sie erinnern sich nicht?« erkundigte sich der freundliche Alte mit einem leisen Schmerz in der Stimme. »Nun, vermutlich nicht, Sie waren ja auch noch sehr jung. Ich bin Yosef Calas und das hier ist mein Freund Ari Funk. Wir stammen auch von Tikkun.«
Der Name traf Jeremiel wie ein Fausthieb und nahm ihm den Atem. Zum ersten Mal registrierte er bewußt die deutliche Ähnlichkeit in Gesichtszügen und Stimmlage. »Calas? Zadoks Bruder?«
»Ja! Sie kennen ihn? Wir sind nach Kayan gekommen, um ihn zu treffen. Na ja, genaugenommen zum Begräbnis seiner Tochter Ezarin. Haben Sie ihn gesehen? Wie geht es ihm?« Verzweifelte Hoffnung zeigte sich auf dem faltigen Gesicht, und Jeremiel senkte den Blick und betrachtete den grauen Boden. Yosef sollte die Nachricht von einem Familienmitglied erhalten und nicht von einem Fremden, der ihn praktisch auf Kayan gekidnappt hatte.
Yosef warf Ari einen besorgten Blick zu und fragte: »Ist … ist mit Zadok alles in Ordnung?«
»Mr. Calas, es tut mir leid, daß ich derjenige sein muß, der es Ihnen sagt …«
»Was sagt?«
»Ich war …« Er preßte für einen Moment die Lippen zusammen. »Ich war bei ihm, als er getötet wurde«, sagte er leise. »Es ist vor ein paar Tagen im Raumhafen geschehen.«
Yosefs braune Augen füllten sich mit Tränen. Er ließ sich in seinem Sitz zurücksinken und spielte unbewußt mit den Kontrollschaltern in der Armlehne. »Vor ein paar Tagen?«
»Ja. Sein Begräbnis fand am gleichen Tag statt wie das von Ezarin. Die Reihe der Menschen, die gekommen waren, um Abschied zu nehmen, war meilenlang. Er war ein guter Mensch. Jeder liebte ihn.« Die Worte klangen so lahm, daß er seiner eigenen Unfähigkeit wegen die Fäuste ballte. Er war schon quer durch die Galaxis geflogen, um Todesnachrichten zu überbringen und den Familienangehörigen seiner Soldaten Trost zuzusprechen, doch er hatte sich nie daran gewöhnen können. Irgend etwas in seinem Innern rebellierte gegen die Absurdität. Weshalb traf es immer die Besten? Er verabscheute diese Ungerechtigkeit.
»Nicht jeder liebte ihn«, murmelte Yosef und blinzelte die Tränen fort. »Wer hat meinen Bruder getötet?«
»Ich wollte, ich wüßte es. Vermutlich jemand von Horeb. Ein Attentäter, ausgeschickt vom neuen Mashiah, der dort aufgetaucht ist. Niemand weiß es genau.«
»Aber warum?«
»Zadok wollte die Rechtmäßigkeit des Mashiah prüfen. Offensichtlich war der falsche Prophet nicht bereit, sich als der Halunke entlarven zu lassen, der er ist.«
»Oh …«
Ari beugte sich hinüber und tätschelte sanft Yosefs Hand. Sein Gesicht drückte Mitleid aus. Jeremiel runzelte die Stirn. Der alte Patriarch war also gar nicht senil. »Es muß gewesen sein, als du diesen Kopfschmerz hattest.«
Yosef nickte.
»Es gibt nichts, was du hättest tun können«, flüsterte Ari sanft. »Ein Mann mit soviel Macht wie Zadok hat viele Feinde.«
Yosef wischte sich die Nase mit dem grünen Jackenärmel. Jeremiel wollte sich gerade wieder dem Kontrollpult zuwenden, als ihn Yosefs schwache Stimme innehalten ließ.
»Hat er … gelitten?«
»Nein, nein, überhaupt nicht. Es war ein glatter Schuß durch die Brust. Er kann kaum noch gemerkt haben, was mit ihm geschah.«
»Ich verstehe«, murmelte Yosef.
»Mr. Calas, ist Ihnen klar, daß Sie der rechtmäßige Führer der gamantischen Zivilisation sind? Sarah ist
Weitere Kostenlose Bücher