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Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Titel: Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen M. O'Neal
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Woge um Woge brandeten Schreie aus dem Garten zu seinem Zufluchtsort hinauf. Jeder Windstoß trug den übelkeitserregenden Geruch von Tod und Zerstörung mit sich.
    »Adom! Adom! Adom!« dauerten die Rufe an, bis er glaubte, wahnsinnig zu werden.
    Er preßte die Hände auf die Ohren und schrie: »Ich kann das nicht ertragen! Hilf mir, Gott!«
    Schließlich wurde der Schmerz in seiner Brust so unerträglich, daß er die Tür aufriß und den prachtvollen Marmorflur entlanglief. Als er durch die von Heiligenstatuen gesäumten Korridore stürmte, trommelten seine Füße in einem dumpfen Stakkato auf den Boden. Sie beobachteten ihn, diese mißbilligenden Gottheiten, und empfanden Zorn über seine Unzulänglichkeit. Er polterte die Treppen hinunter und nahm immer drei Stufen auf einmal, um ihren Blicken zu entgehen. Schließlich schoß er durch das Portal des Palasts und blieb auf dem obersten Absatz der rosafarbenen, fächerförmig aufsteigenden Eingangstreppe stehen.
    Ein sich aus Angst und Verehrung zusammensetzendes Raunen erhob sich. Eine ganze Minute lang schien kein anderes Geräusch zu existieren als dieses der Meeresbrandung gleichende Grollen. Adoms Herz klopfte furchtsam, als er über den riesigen hexagonalen Garten voller steinerner Statuen, spitzgiebeliger Pavillons und panikerfüllter Männer und Frauen blickte, die sich gegenseitig stießen und drängten und dabei schrien, als wären sie verrückt geworden. Der heiße Nordwind zerrte am Saum seines kastanienbraunen Gewandes, als er zögernd die Marmorstufen hinabstieg. Die massiven Bronzetüren in seinem Rücken klirrten leise unter dem Aufprall der vom Wind herangetragenen Sandkörner. Schluchzende Frauen krochen zum Fußende der Treppe. Hinter ihnen brüllten hartgesichtige Männer, von deren Gürteln bedrohlich Dolche herabbaumelten. Seitlich davon hatte man einen Teil des Gartens für die Verletzten freigehalten, die dort in unregelmäßigen Reihen lagen, während Fliegenschwärme wie schwarze, hungrige Wolken über ihren Wunden kreisten.
    »All das nur«, flüsterte er elend und spürte ein Schluchzen in der Kehle, »weil sie mich töten wollten?«
    Graugekleidete Palastwachen blickten besorgt zu ihm hinüber. Sie waren unsicher, ob sie die angewiesenen Positionen halten oder zu ihm gehen sollten, um ihn zu schützen. Er wehrte sie mit einem Kopfschütteln ab, wandte sich dann der Menge zu und hob die Arme. »Es tut mir leid. Es tut mir sehr leid.«
    Hoffnung beflügelte die schwitzenden Menschen. Sie drängten unerbittlich näher, stürzten Statuen um, schrien sich gegenseitig und auch ihn an. Tränen traten in seine Augen und verwischten den Anblick von ungekämmten Haaren und ungewaschenen Körpern, von Schmerz und Verzweiflung.
    »Es … es tut mir leid«, schluchzte er.
    Eine weinende Frau in einem abgetragenen, blutbefleckten braunen Gewand lief mit einem verletzten Kind auf den Armen die Treppenstufen hinauf. »Mashiah, ich flehe dich an! Er ist ein braver Junge und erst fünf Jahre alt. Einer der Steine des Tempels ist auf ihn gefallen. Sei gnädig. Heile ihn. Bitte!«
    Adom starrte hilflos auf das geronnene Blut, das die Brust des Jungen bedeckte. Vermochte Milcom ein solches Wunder zu tun? Das Kind schien bereits jenseits aller Hoffnung zu sein.
    Er streckte die zitternden Arme aus. »Gib ihn mir.«
    Die Frau wollte ihm das Kind in die Arme drücken, doch von der anderen Seite zerrte ein alter Mann so heftig an Adoms Robe, daß er rückwärts stolperte.
    »Mashiah!« heulte der Mann. Er hockte vornüber gebeugt auf den Stufen und drückte seine tote Frau an die Brust. »Wirst du sie wieder lebendig machen, Mashiah? Ohne sie kann ich nicht leben!«
    »Ich … ich kann die Toten nicht wieder zum Leben erwecken. Vergib mir.«
    Das Gesicht des alten Mannes verzog sich schmerzerfüllt. Er weinte bitterlich und wiegte den Körper seiner Frau vor und zurück. »Wieso kannst du das nicht … wieso kannst du das nicht … wieso kannst du das nicht?« fragte er wieder und wieder.
    Von allen Seiten her schauten die Gläubigen Adom aus halb wahnsinnigen Augen an und flehten, er möge ihr Leid mildern – und er fühlte sich so hilflos, so schwach unter der Last ihrer Verzweiflung.
    Und es waren so viele …
    »Milcom?« rief er in die Menge hinein. »Milcom, ich bitte dich. Hilf uns.«
    Abermals machte er einen furchtsamen Schritt die Treppe hinab und streckte die Hand aus, um den sterbenden Jungen zu berühren. Die Mutter griff nach seinem

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