Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
und Adom kam es so vor, als würde dieser Blick ein Übermaß an Schmerz verbergen. »Bleibe einfach du selbst. Vergiß nie, daß das Licht der Erlösung durch die verletzten Augen eines jeden um dich herum leuchtet. Liebe jeden, lehre jeden, und erinnere dich an Gott.«
»Und du sorgst für uns?«
Milcom nickte ernst. »Ich werde mein Bestes geben, Adom.« Er zog die Kapuze seines chromgrünen Samtmantels über den Kopf, hob die kristallenen Hände und murmelte etwas Unhörbares. Wirbelnde Schwärze erschien im Stein der Wand, wie ein klaffendes Loch in Raum und Zeit, und Milcom schritt hindurch und in die tobende Dunkelheit dahinter.
KAPITEL
14
Wehe, Wehe, ihr braven Menschen … Auf seiner Stirn stehen drei Buchstaben: AKT. Und er wird herrschen für drei Jahre. Und in seinem ersten Jahr wird alles Gras auf Erden verdorren. Dann wird eine große Seuche kommen … Die Menschen werden den Tod anrufen und Gräber ausheben und sagen: »Gesegnet und dreimal gesegnet seien jene, die schon gestorben sind, denn sie müssen diese Zeit nicht mehr erleben.«
Die Griechische Apokalypse nach Daniel
Datiert auf: 800 Alter-Erdstandard
Rachel und Sybil kämpften sich über den steilen Pfad den dunklen Berghang hinauf. Große Steinblöcke lagen über den Hang verstreut wie eine Lawine aus monströsen, vom Wind bearbeiteten Skulpturen. Im kalten Sternenlicht wirkte der Hang wie ein zerstörter Garten der Götter: Emporgereckte Fäuste und grimme prometheische Gesichter drohten in stummem Trotz, doch ihre Wut war schon vor langer Zeit von den Sandstürmen Horebs ihrer Kraft beraubt worden.
»Mommy?« keuchte Sybil. »Hilfst du mir?«
Rachel drehte sich um und sah, wie ihre Tochter vergeblich am ausgefransten Saum ihres blauen Gewandes zerrte. Der Stoff hatte sich in den unnachgiebigen Zweigen eines Dornbuschs verfangen und wollte nicht freikommen. Dichtes Buschwerk sproß aus jedem Riß im Fels, und die Dunkelheit machte es praktisch unmöglich, den dornbewehrten Fallen zu entgehen.
»Ich komme schon, Kleines.« Müde kehrte sie um und arbeitete sich den steilen Pfad wieder hinab. Sie packte den Saum und zog kräftig daran. Das Geräusch reißenden Stoffes schien die Stille zu zerteilen. Ein flatterndes blaues Band hing jetzt an dem Strauch.
Sybil strich sich die braunen Locken aus der Stirn und blickte auf. Ihr schmutziges Gesicht war von Erschöpfung gezeichnet. »Danke, Mommy. Komm, gehen wir weiter. Es tut mir leid, daß ich …«
»Sybil?« Mit vor Schwäche zitternden Knien stützte sich Rachel gegen einen Felsen und ließ sich von den Wüstenwinden streicheln. »Laß uns einfach für einen Moment hier stehenbleiben.«
»Ist alles in Ordnung, Mom?«
»Ja, ich brauche nur eine Pause.«
»Soll ich schon ein bißchen vorgehen? Ich kann noch ein wenig klettern.«
Das Mädchen wischte sich die laufende Nase mit dem Ärmel ab und streckte den Rücken durch. Im Licht der Sterne leuchteten ihre Augen graublau, als wären sie mit Stahlstaub besetzt. Das kleine Päckchen mit Lebensmitteln auf ihrem Rücken pendelte bei jeder Bewegung. Mein armes Baby. Du möchtest weiter klettern, weil die Angst dir keine Ruhe läßt, bis wir in Sicherheit sind. Lieber Gott, welche Schrecken hast du schon durchlitten. Wirst du jemals fähig sein, nach alledem wieder normal zu leben? Werden die Narben in deiner Seele jemals verheilen?
»Geh aber nur ein kleines Stück weiter, Sybil. Bleib in Sichtweite.«
»Mach ich.« Das Mädchen stapfte vorwärts und streichelte im Vorbeigehen kurz das Bein der Mutter.
Rachel ließ sich müde gegen den Felsen sinken. Ihr eigenes kleines Päckchen zerrte schmerzhaft an ihren Schultern. Ihr Blick wanderte zurück nach Seir. Nur ein kleiner Teil der Stadt war zwischen den hochaufragenden Felsen zu sehen, und die Lichter glühten hinter einem Schleier aus Staub.
»Mashiah, bist du schon unterwegs?« fragte sie stumm, während die Angst ihr die Brust eng machte.
Ein Meteor strich durch den nächtlichen Himmel und hinterließ eine leuchtende Silberspur über den Spitzen der Berge. Rachel blinzelte und schüttelte den Kopf, weil es ihr so vorkam, als hätte er sich ungleichmäßig bewegt. Ein Schiff? Doch es war verschwunden, bevor sie genauer hinsehen konnte. Irgendwo im Gehölz sägte ein Buschbock; das Lied des Insekts hörte sich an wie eine rostige Türangel. Sie lauschte eine Weile und ließ den Klang in ihre gequälte Seele eindringen.
»Adom … du sollst verdammt sein. Laß uns
Weitere Kostenlose Bücher