Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
der Art, wie er mit der Pistole auf sie gezielt hatte, bis sie die richtige Antwort gab, konnte er nicht zu den Truppen des Mashiah gehören. In Seir hatte sie ihn noch nie gesehen. Ein so gutaussehender und offenbar auch kompetenter Mann hätte zweifellos ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Konnte er aus einem anderen Teil Horebs stammen? Es gab winzige Dörfer, die über die Wüsten verstreut waren; aber die dort lebenden Nomaden empfanden für die Stadt in der Regel nichts als Verachtung. Außerdem wirkte er nicht wie ein gewöhnlicher Hirte. Ein Fremdweltler? Doch warum sollte jemand von einem anderen Planeten, der vom Mashiah wußte und gegen ihn eingestellt war, hierher kommen? In den vergangenen drei Jahren waren viele, die Adom unterstützten, nach Horeb gekommen, doch deren Gründe waren offensichtlich: Sie wollten dem gesegneten Erlöser nahe sein. In diesen schweren Zeiten suchte jeder nach Errettung. Doch dieser Mann war anders, seine Anwesenheit ein Rätsel, und Rätsel machten Rachel Angst. Sie ließ sich so viele verschiedene Möglichkeiten durch den Kopf gehen, daß sie von tiefem Mißtrauen erfüllt war, als der Fremde etwa eine Stunde später zurückkehrte.
»Ich glaube, wir sind jetzt sicher«, flüsterte er. Ein Rascheln ertönte, als er irgend etwas über den Boden zog. Ein paar Sekunden später flammte Licht auf. Rachel zuckte zusammen, als die handgroße Lampe strahlend weiße Helligkeit auf Wänden und Decke verbreitete. Die dicke Rußschicht über ihren Köpfen zeugte davon, daß sie nicht die ersten waren, die hier Zuflucht gesucht hatten. In der Mitte des Bodens bezeichnete ein kleiner Steinhaufen die Stelle, an der schon Dutzende von Feuern gebrannt hatten.
»Wer sind Sie?« erkundigte der Fremde sich beiläufig, während er zwei mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit gefüllte Flaschen aus seinem Rucksack holte. Er reichte Rachel eine und erklärte: »Energiekonzentrat. Ist ziemlich klebrig, wird Ihnen aber gut tun. Trinken Sie.«
Ihre Blicke verschränkten sich für einen Moment ineinander; dann schaute Rachel auf seine am Gürtel befestigte Pistole und murmelte: »Können Sie auch mit Menschen reden, ohne ihnen Befehle zu erteilen?«
Er senkte den Blick. »Nicht besonders gut. Versuchen wir es noch einmal. Ich bin der Mann, der Ihnen gerade das Leben gerettet hat. Und wer mögen Sie wohl sein?«
»Wie heißen Sie?«
Er zögerte, nahm einen großen Schluck aus seiner Flasche und wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab. »Da ich es war, der Sie gerettet hat, steht es mir wohl zu, zunächst zu erfahren, wer Sie sind.«
Ärger wallte in ihr auf, und sie schlug mit der Faust auf den Boden. »Ich bin seit einer Woche auf der Flucht und versuche, dem Mashiah und den speziellen Foltern zu entkommen, die er für mich vorgesehen hat. Ich werde Ihnen nicht sagen, wer ich bin, so lange ich nicht weiß, ob Sie nicht einer seiner Männer in Verkleidung sind! Also, wer sind Sie?«
Er zog die Augenbrauen hoch und stieß einen mürrischen Seufzer aus. »Jeremiel.«
»Jeremiel …?«
»Jeremiel. Und Sie sind?«
»Rachel.«
Er blickte sie wissend an. »War mir eine Ehre, Ihnen zu Diensten gewesen zu sein… Rachel.« Er deutete auf Sybil, die in ihrem Schoß lag. »Und wer ist das?«
»Meine Tochter, Sybil.«
»Ja, das ist mir schon eine. Sie hat mich gebissen, als ich sie tiefer zwischen die Felsen ziehen wollte.« Er schob den Ärmel hoch, um ihr die geröteten Zahnabdrücke zu zeigen.
»Sie hat es nicht so gemeint. Sie war nur …«
»Oh, sie hat es durchaus so gemeint. Sie hätten das zufriedene Leuchten in ihren Augen sehen sollen, als mein Blut floß.«
»Sie hatte Angst.«
»Ich auch.« Er lehnte die breiten Schultern wieder gegen die rote Wand und nickte bekräftigend. »Dieses Schiff hat auch nicht gerade einen freundlichen Eindruck auf mich gemacht. Warum will der Mashiah Sie töten? Ich nehme doch an, das war eines seiner Schiffe?«
Sie nickte. »Ja, ein Samael. Er benutzt sie, um die Bevölkerung zu terrorisieren.«
»Samael? Nennt er so seine Schiffe?«
»Ja, aber ich weiß nicht, was der Name bedeuten soll.«
»Spielt auch keine Rolle. Mir war nur gerade so, als brächte diese Bezeichnung irgend etwas in meiner Erinnerung zum Klingeln. Warum hat er Sie verfolgt?«
Sie warf einen forschenden Blick auf sein Gesicht und verschränkte die Arme schützend vor der Brust, während wilde Verdächtigungen durch ihren übermüdeten Verstand schossen. »Sie stammen
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