Die Gang: Roman (German Edition)
darstellte.
Jingles kicherte.
»Der könnte die Leute kommen und gehen sehen«, sagte der Tätowierte.
»Was für’n Blödsinn«, meinte der Irokese. »So was gibt’s nicht. Das ist nur ’n Trickfoto.«
Jeremy zuckte zusammen, als sich Hände auf seine Schultern legten. Gänsehaut breitete sich auf seinem Rücken aus. »Entschuldige, junger Mann«, sagte Jasper, ließ ihn los und schob sich an ihm vorbei. Cowboy wich ihm aus. Trotz seiner Unerschrockenheit schien auch er nervös zu sein.
Jasper ging weiter. Er blieb neben dem Bild stehen. »Sie sehen Jim und Tim, die Siamesischen Zwillinge.«
»Wir können selbst lesen«, sagte das kahl geschorene Mädchen.
»Lass uns das richtige Zeug ansehen«, sagte der Irokese. »Ein Haufen blöde Fotos interessieren mich ’nen Dreck.«
»Diese Fotos zeigen einige der außergewöhnlichsten, seltsamsten …«
» Muss er uns so auf die Pelle rücken?«, platzte Jingles heraus.
»Ja, Mann, hau ab hier.«
»Wie Sie wünschen«, sagte Jasper und schlich den Korridor hinunter. Aber er verschwand nicht ganz. Er blieb an der Ecke stehen und wartete dort im Dunkeln.
»Gute Idee«, sagte Cowboy. »Sag’s dem alten Knacker nur.«
»Verpiss dich!«, sagte der Irokese.
»Na, das tut mir jetzt aber leid, Chingachgook.«
Jeremy stöhnte.
»Soll ich dir eine scheuern, oder was?«
Cowboy öffnete den Mund. Jeremy stieß ihn an.
Das kahle Mädchen legte einen Arm um den Irokesen und sagte: »Komm weiter, Woody. Gib dich nicht mit dem Pack ab.« Sie gingen weiter, und Jeremy hielt Cowboy am Arm fest.
»Warte, bis wir ein bisschen mehr Platz haben«, flüsterte er.
»Hast du gehört, wie die uns genannt hat?«
»Der Kerl hätte uns fertiggemacht.«
»Die machen mir keine Angst.«
Jeremy sah, wie die anderen weiter den Korridor entlanggingen. Sie blieben nicht stehen, um sich die Bilder anzuschauen. Offenbar ging es ihnen ebenso wie Woody, und sie wollten zu dem richtigen Zeug.
Jeremy machte bei dem Foto von Jim und Tim, den Siamesischen Zwillingen, halt. Die beiden jungen Männer waren an der Hüfte miteinander verbunden. Die steckte in einer Art Lendenschurz, der zwei Ausbuchtungen hatte. Jeremy wurde von dem Anblick der beiden leicht übel, aber er blieb vor dem Foto stehen und starrte es an.
»Wir verlieren sie noch«, sagte Cowboy.
»Ich will mir dieses Zeug ansehen«, log Jeremy.
»Na gut, dann bleib eben hier.« Cowboy ging weiter den Korridor entlang.
Jeremy eilte hinter ihm her. Er warf nur ein paar schnelle Blicke auf die Fotos, als er vorbeiging, und war ganz froh, dass er keine Zeit hatte, sie genauer anzusehen. Was er im Vorbeigehen ausmachen konnte, war nicht angenehm: ein Mann mit einem dritten Arm, einem kleinen, welken Ding, das aus seiner Brust wuchs; eine pelzige Frau in einem Bikini, die eine Art Hundekopf hatte; ein Mann, der die Zunge herausstreckte – eine Zunge, die etwa dreißig Zentimeter lang war; ein Mann ohne Beine, der einen Handstand machte; eine Frau mit zwei Köpfen; eine Frau mit drei Brüsten nebeneinander, nackt bis auf irgendein Glitzerzeug und Quasten; ein riesiger Mann, der neben einem Zwerg stand, der gerade bis zu seinen Knien reichte; ein Mann mit so langen Armen, dass sie bis zum Boden hingen.
Das Bild des langarmigen Mannes war das letzte im Korridor. Jasper stand nicht mehr an der Ecke. Er war offenbar den Punks gefolgt.
Jeremy holte tief Luft. Er fühlte sich unsicher und ein bisschen angeekelt. Die stickige Luft machte es nicht besser. Es roch wie in einem alten, verlassenen Haus, das seit Jahren nicht mehr gelüftet worden war. Er wischte sich mit dem Hemd den Schweiß von der Stirn. Dann folgte er Cowboy um die Ecke.
Ein weiterer Korridor, ähnlich wie der erste, erstreckte sich bis zur Vorderseite des Gebäudes. Die vier Punks hatten sich vor dem ersten Schaukasten versammelt.
Jasper stand hinter ihnen, fast unsichtbar bis auf sein blasses Gesicht.
»Lass uns warten«, flüsterte Jeremy.
»Sei kein Angsthase«, meinte Cowboy und ging langsam auf die Gruppe zu.
»Es hat dich angezwinkert«, sagte der Tätowierte. Seine Hand lag auf Jingles’ Rücken, unter ihrem T-Shirt.
»Hat es nicht«, sagte sie. Aber sie hörte sich beunruhigt an.
»Welcher Kopf?«, fragte Woody und lachte.
Sie gingen weiter zum nächsten Ausstellungsstück, und Jeremy konnte sehen, dass sie einen menschlichen Fötus in einem Glasbehälter angestarrt hatten. »Ziemlich daneben«, sagte Cowboy. Er blieb vor dem kleinen Podest stehen und
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