Die Gateway-Trilogie: Mit einem Vorwort von Jack Vance (German Edition)
»Vielleicht ist es doch nicht meine Mutter, der du ähnlich siehst. Diese buschigen Augenbrauen …«
»Das spielt doch keine Rolle«, warf er liebevoll ein.
»Tut es auch nicht«, stimmte ich ihm zu.
»Du kannst jetzt ruhig schlafen«, sagte er.
Das schien mir ein solch guter Vorschlag zu sein, dass ich ihn befolgte. Nicht sofort. Nicht so plötzlich. Ganz ruhig, sanft. Ich trödelte noch halbwach herum. Mir war vollkommen wohl, und ich war ganz entspannt. Ich wusste deshalb auch nicht genau, wo der halbwache Zustand aufhörte und der richtige Schlaf begann. Ich gab mich meinen Träumereien hin, versunken in diesem Zwischenzustand, wo man sich zwar einbildet, schon zu schlafen, es aber egal ist, und in welchem der Geist wandert. O ja, mein Geist wanderte. Sehr weit. Ich jagte durch das Universum mit Wan und griff immer wieder nach einem neuen Schwarzen Loch, immer auf der Suche nach etwas, das für ihn sehr wichtig war und damit auch für mich. Aber ich wusste nicht, warum. Da tauchte auch ein Gesicht auf, nicht Albert, nicht das meiner Mutter, nicht einmal Essies – ein Frauengesicht mit buschigen, dunklen Augenbrauen …
Na so was, dachte ich, der Mistkerl hat mich gedopt!
Und unterdessen drehte sich die große Galaxis, und winzige Teilchen organischer Materie schoben noch kleinere Teilchen aus Metall und Kristall durch die Räume zwischen den Sternen. Und die organischen Teilchen erlebten – jedes auf seine Weise – Schmerz, Verlassenheit, Schrecken und Freude. Aber ich schlief die ganze Zeit. Es kümmerte mich kein bisschen. Damals.
Ein kleines organisches Teilchen mit Namen Dolly Walthers erlebte alle diese Gefühle am eigenen Leibe – na ja, mit Ausnahme der Freude. Bei ihr kam aber noch eine Menge anderer Gefühle hinzu – Abneigung und Langeweile. Langeweile überwog, außer in den Augenblicken, in denen ihr armes kleines Herz von Furcht beherrscht wurde. Das Innere von Wans Schiff glich einer Kammer in einer vollautomatischen Fabrik, in der man nur ganz wenig Raum ausgespart hatte, damit Menschen hineinkriechen und die nötigen Reparaturen ausführen konnten. Sogar die flackernde goldene Spirale, die einen Teil des Hitschi-Antriebssystems darstellte, war nur teilweise sichtbar. Wan hatte Schränke darumgebaut, in denen man Nahrungsmittel aufbewahren konnte. Dollys persönliche Habe – die hauptsächlich aus ihren Puppen und einem Vorrat an Tampons für sechs Monate bestand – war in einem winzigen Schränkchen in der Toilette verstaut. Alles andere gehörte Wan. Es gab nicht viel zu tun und auch keinen Platz, um es zu tun. Lesen war die einzige Möglichkeit, sich die Zeit zu vertreiben. Die einzig lesbaren Datenfächer, die Wan besaß, waren Kindergeschichten. Sie waren, wie er sagte, für ihn aufgezeichnet worden, als er noch klein war. Sie langweilten Dolly auch zu Tode. Trotzdem waren sie noch besser als gar nichts. Sogar Kochen und Saubermachen waren noch besser als das untätige Herumsitzen. Aber auch dafür waren die Möglichkeiten begrenzt. Einige Kochgerüche trieben Wan dazu, im Landefahrzeug Zuflucht zu suchen – meistens aber tobte er und beschimpfte sie. Wäsche zu waschen war leicht. Man steckte die Kleidung lediglich in einen Dampfkochtopf, der heißen Dampf hindurchjagte. Beim Trocknen allerdings erhöhte sich die Luftfeuchtigkeit, was wieder Anlass zu Beschimpfungen und Wutanfällen gab. Er schlug sie zwar nie – wenn man das nicht mitzählte, was er anscheinend für Liebesspiel hielt –, jagte ihr aber schreckliche Angst ein.
Trotzdem fürchtete sie sich vor ihm weniger als vor den Schwarzen Löchern, die sie aufsuchten, eines nach dem anderen. Diese flößten auch Wan Angst ein. Aber Furcht hielt ihn nicht auf. Sie machte es nur noch unmöglicher, mit ihm zu leben.
Als Dolly erkannte, dass die ganze irrsinnige Expedition nur eine hoffnungslose Suche nach Wans vor langer Zeit verschwundenem und sicher schon lange totem Vater war, fühlte sie echte Zärtlichkeit für ihn. Sie wünschte sich, dass er ihr erlauben würde, diese auch auszudrücken. Es geschah aber nur selten, dass er nach dem Liebesakt nicht sofort einschlief oder sie mit verletzenden und unverzeihlich kritisierenden Bemerkungen über Intimes wegschickte. Trotzdem gab es Zeiten, in denen sie sich, zumindest einige Minuten lang, schweigend umarmt hielten. Dann spürte Dolly ein brennendes Verlangen, menschlichen Kontakt mit ihm herzustellen. Es gab Augenblicke, in denen sie ihren Mund an sein Ohr
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