Die Gauklerin von Kaltenberg
brachte die Nachricht nach Freising, zu meinem Herrn.«
Der König lief wie von Sinnen vor der Barriere aus Weidenge flecht hin und her, die vermutlich seinen Schlafbereich abteilte. Gähnend kamen seine Ratgeber ins Zelt, und Anna sah sich un willkürlich nach Ulrich um. Aber selbst wenn er hier war, wäre er viel zu jung gewesen, um hinzugerufen zu werden. Sie konnte von Glück sagen, wenn sie nicht plötzlich seinem Vater gegenüber stand. Der Gedanke war ihr noch gar nicht gekommen, und ängst lich sah sie zum Eingang.
»Wir müssen abziehen«, meinte ein graubärtiger Patriarch, als er den Brief überflogen hatte.
»Das hätte ich ihm nicht zugetraut«, stieß Ludwig hervor. »Wir waren enger als Brüder, wir haben im selben Bett geschlafen!« Er lief auf und ab. Entschlossen sagte er endlich: »Dieser Krieg ver schlingt mein Vermögen und zerstört mein Land. Es muss eine Entscheidung geben. Wir kämpfen.«
»Herr! Wir wissen nicht einmal, wer der Verräter ist. Wenn der König gefangen oder tot ist, ist der ganze Krieg verloren. Die Män ner würden davonlaufen, wenn sie Euch nicht sehen.« Der Grau bärtige flüsterte dem König etwas zu. Anna verstand etwas wie »eine Frau im Heer bringt Unglück«.
Ludwig nickte ihr zu. »Ich danke dir für die Nachricht, Mädchen. Sag deinem Herrn in Freising, ich werde seine Hilfe nicht vergessen.«
»Verzeiht, Herr«, stieß Anna hervor, was ihr seit Monaten auf der Seele lag. »Ulrich von Rohrbach … ist er am Leben?«
DerKönig wechselte einen überraschten Blick mit seinen Männern. »Er wurde in der Hohenlohe verletzt«, erwiderte schließ lich einer der Ratgeber. »Aber inzwischen ist er wieder ge sund.«
Als die Wachposten Anna ins Freie schoben, blieb sie stehen. Über ihr waren nur wenige Sterne zu erkennen. Sie war ent täuscht, für ihren Gewaltritt hätte sie sich etwas mehr erwartet. Trotzdem war sie so erleichtert, dass sie am liebsten getanzt hätte. Ulrich war am Leben! Auch wenn sie ihm vielleicht nie wieder in die Augen sehen konnte, er lebte.
»Mädchen, warte!« Ein junger Knappe in den Farben des Kö nigs war ihr nachgelaufen. Er reichte ihr einen bestickten Beutel. »Dein Lohn.«
Überrascht nahm Anna das Säckel entgegen. Es war alles andere als leicht – König Ludwig war trotz seiner Geldnot großzügig.
Ein leichter Föhn wehte von Süden her. Anna blickte über die terrassenartigen Schwellen hinunter zu den sumpfigen Auwäl dern und zur Stadt Mühldorf. Das glänzende Band des Inns war nur schwach zu erahnen. Dass Ulrich lebte, war ein Hoffnungs schimmer und gab ihr neue Kraft.
Sie suchte die dunkle Bergkette am Horizont, und wieder kam ihr der Gedanke, den sie so oft in den letzten Monaten gehabt hatte. Dort lag Tirol, und das Kloster Neustift, von dem Falconet gesprochen hatte. Ein Dutzend Mal hatte sie sich vorgenommen, seinen letzten Wunsch zu erfüllen und das Spielmannsbuch dorthin zu bringen. Aber sie hatte sich nicht davon trennen können. Anna sah in die Dunkelheit und wog den Beutel nachdenklich in der Hand. Es war an der Zeit, dachte sie, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Das Geld ermöglichte ihr eine sichere Reise. Und wenn sie erst den Mann gefunden hatte, der die Carmina geschrieben hatte, würde sie König Ludwig selbst um seinen Richtspruch bitten. Dann würde sie auch Ulrich wieder in die Augen sehen können. Mit etwas Glück konnte sie Eva und Steffen bewe genmitzukommen. Klöster versprachen fette Braten und volle Tafeln.
Eine Stunde später sahen die Posten auf den wuchtigen Stadtmau ern von Mühldorf überrascht bergauf. Von der Anhöhe, wo Feu erstellen das Heer König Ludwigs verrieten, schallte laute Musik und Gelächter. Offenbar ging es dort oben lustig zu, dachten die österreichischen Waffenknechte neidisch. Sie ahnten nicht, dass sie genau das denken sollten.
Als am nächsten Morgen die Sonne aufging, sah man nur noch kahle Stellen und verglühende Feuer hinter den aus Ästen gefüg ten Zäunen und Erdwällen. Das Lager König Ludwigs war ver lassen – im Schutze der Nacht und der Musik war das bairische Heer abgezogen.
Der Wind fuhr durch Friedrich von Österreichs seidiges Haar, als er mit zorngeschwelltem Hals die Steintreppe zu den Wällen heraufkam. Außer sich packte er den nächstbesten Soldaten und begann in hilfloser Wut auf ihn einzuschlagen. Die anderen zogen stumm die Köpfe ein, um nicht selbst zur Zielscheibe zu werden. Als er keuchend von dem Mann abließ, war sein schönes
Weitere Kostenlose Bücher