Die Gauklerin von Kaltenberg
Händen, und viel zu oft war er über die lockere Erde eines frischen Grabes geschleift.
»Ich brauche einen vertrauenswürdigen Boten. Ludwig liegt vor Mühldorf am Inn«, kam er auf sein Anliegen zu sprechen. »Ihm gegenüber nähern sich die Ritter Friedrichs. Mühldorf gehört einem Verbündeten der Österreicher, dem Bischof von Salzburg, Friedrich wird sich also dort niederlassen. Die Mauern sind fest, und die Stadt ist nur schwer anzugreifen, wegen der sumpfigen Auwälder in der Umgebung. Herzog Leopold von Österreich ist von Schwaben her eingefallen. Er steht nicht weit vom Kloster Fürstenfeld – und damit beinahe vor Euren eigenen Toren. Die Nachricht ist wichtig.«
»Ihrhabt sie abgefangen?« Die kräftige Gestalt des Sendlingers fuhr mit einiger Beweglichkeit auf. »A Hund is’ er scho!«, ent wischte es ihm anerkennend. Der Wittelsbacher verstand es wirk lich, immer wieder zu überraschen!
Der Deutschherr reichte ihm den abgefangenen Brief, und der Bischof überflog ihn. Überrascht sah er auf.
»Das ist ja der Teufel!«, stieß er hervor. »Warum habt Ihr das nicht gleich gesagt?« Er winkte seinem Sekretär, einem blässli chen, gutaussehenden jungen Prälaten. Der Ring an seiner Hand blitzte auf, und seine Augen funkelten, als das Diplomatenblut sei ner Familie in ihm aufwallte. »Hol mir die Gauklerin Anna«, wies er ihn barsch an. Seine Stimme hatte jeden salbungsvollen Ton verloren. »Und mach schnell! Es eilt.«
Anna ahnte nicht, dass die Ränke der Mächtigen wieder die Fin ger nach ihr ausstreckten. Gemeinsam mit Eva hockte sie in der gewölbeartigen Vorhalle des Freisinger Doms und verkaufte Lie beszauber. Das Rezept aus Eisenkraut und Mistelbeeren hatte sie irgendwann von einem Quacksalber aufgeschnappt.
»Eine gute Wahl, Herr! Ihr müsst es in viel Wein mischen, den Ihr Eurer Dame gebt. Das macht vier Pfennige.« Sie reichte dem Kunden die Kräutermischung, und der Geruch übertönte einen Moment den von Weihrauch, Wachs und Urin. Der flachsblonde Mann griff so hastig danach, dass er ihr fast leidtat.
»Vier Pfennige!« Eva, die ein paar Schritte weiter hockte, sah ihm verblüfft nach. Milde blickten die Steinskulpturen Kaiser Bar barossas, seiner Gemahlin und des Bischofs Otto von Freising über sie hinweg. »Du wirst immer frecher.«
Mit kälteklammen Fingern steckte Anna das Geld ein. »Seit wann nimmst du es so genau? Wenn er es mit genug Wein versetzt, wird sie schon allein davon schwach.«
»Mistelbeeren sind ziemlich giftig«, bemerkte Eva.
»Liebe oder Tod – das gefällt mir!« In der halbdunklen Vorhalle herrschteein Kommen und Gehen, so dass ihnen die kleine bucklige Gestalt nicht aufgefallen war. Anna blickte auf und sah in die wimpernlosen Augen des Narren.
Misstrauisch zögerte sie. Der junge Mann, den der Hofnarr des Bischofs mitgebracht hatte, begaffte sie derart ungeniert, dass sie nicht die geringste Lust hatte, ihnen irgendetwas zu verkaufen.
»Nur nicht so schüchtern. Sie ist keine Heilige«, ermunterte der Narr seinen Begleiter. Der helle Bart war feucht, als hätte er ge trunken. »Wir haben herausgefunden, dass sie eine verurteilte Hexe ist. Darauf hat der Bischof sie nach Augsburg geschickt. Und das Erste, was sie tat, war, es auf der Straße mit einem Raubritter zu treiben, bis sie fast hinüber war.«
Anna fuhr zusammen und starrte ihn an. Sie hatte gewusst, dass er nicht gerade ihr Freund war. Aber sie hatte nicht geahnt, wie sehr er sie hasste. Hatte er Nachforschungen über ihre Vergan genheit angestellt? Anna wurde kalt. Hatte er am Ende den Bi schof beschwatzt, sie nach Augsburg zu schicken, wo sie dem Fraß in die Hände fiel? Sie schloss die Augen und versuchte die Erinne rung weit wegzuschieben.
Der andere Bursche griff nach ihrem Arm. In Panik sprang An na auf. Blindlings schlug sie zu, dass er erschrocken aufschrie, und lief in den mächtigen Innenraum des Doms. Bettler und Schar latane hockten am Eingang. Vor dem Lettner, der den Bereich des einfachen Volks vom Chorgestühl trennte, hörten Bauern eine Messe. Bei jedem Geräusch aus den Seitenkapellen zuckte sie zu sammen. Aber nur ein paar Frauen murmelten Gebete oder tra fen ihre Liebhaber. Sie lief daran vorbei und stieg die Stufen zur Krypta hinunter. Im Gewölbe der Unterkirche fühlte sie sich si cherer. Schwer atmend lehnte sie sich gegen die Bestiensäule, wo Ritter gegen Drachen kämpften.
Jemand kam hinter ihr herab, und keuchend fuhr sie herum.
»Steffen hat mir erzählt,
Weitere Kostenlose Bücher