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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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Nebel, und ein Stoßgebet kam über seine Lippen. Dann erkannte er die Mönchskutten und atmete auf. »Der Herr beschütze Euch, Brüder«, grüßte er. »Seid Ihr aus Fürstenfeld?«
    Ein blankes Schwert unter der einen Kutte belehrte ihn, dass er sich täuschte. Doch er hatte keine Zeit, es zu bereuen. Die Waffe blitzte auf. Dann stürzte sein Körper schwer aus dem Sattel.
    Der andere steckte das Schwert in die Scheide und schlug die Kapuze zurück. Er war ein Mann von etwas über fünfzig Jahren. Graue Locken umrahmten ein scharf geschnittenes Gesicht, das irgendwie gezeichnet wirkte. Als er die Kutte abwarf, kam ein wei ßer Mantel darunter zum Vorschein, der im Fackellicht leuchtete. Deutlich sichtbar war das schwarze Kreuz auf der Schulter – die Tracht der Deutschherren. Er nahm den Brief, den seine Männer aus der ledernen Tasche des Kuriers gezogen hatten, und überflog ihn. Sein ernstes Gesicht wurde bleich. Mit einem scharfen Befehl rief er nach seinem Pferd. Der schwere Graue stampfte unruhig im sumpfigen Boden und warf die lange Mähne zurück. Sein Knappe, der ebenfalls die falsche Mönchskutte abgeworfen hatte, hatte Mühe, das feurige Tier zu halten. Wortlos schwang der Ritter sich in den Sattel.
    »Ichhätte nicht gedacht, Euch so bald wiederzusehen«, bemerkte Bischof Konrad »der Sendlinger« etwas hochtrabend, als der Deutschherr am nächsten Morgen in sein Sprechzimmer trat. Hinter den dicken Mauern war es dunkel, denn die pergamentbe spannten Fenster hielten zwar den Wind ab, aber auch das Licht. »Erst vor wenigen Tagen wart Ihr für König Ludwig hier, um den Verkauf des Fleckens Ismaning siegeln zu lassen.«
    Er ließ seinen Gast in der Nische am Fenster Platz nehmen. Das Kohlenbecken war dicht an die gepolsterten Bänke gerückt und spendete Wärme.
    »Der Krieg verschlingt nicht nur unzählige Leben, sondern auch die weltlichen Güter«, seufzte der Sendlinger weihevoll. Er überging die Tatsache, dass er die Silbermark für Ismaning und die anderen Dörfer gern bezahlt hatte: Es ermöglichte ihm, eine eigene Grafschaft im Isarrain zu bilden. »Ludwigs Versuche, über seine Freunde in Niederbaiern das mächtige Tirol auf seine Seite zu ziehen, waren vergeblich. Immer mehr Orte muss er verpfän den oder verkaufen. Und wie man hört, ist Österreich wieder ein gefallen.« Er legte einiges Gewicht in seine Worte, denn Anna hatte die Neuigkeiten erst kürzlich mitgebracht.
    Das Mädchen war Gold wert, sie wusste ihre hübschen Ohren im richtigen Moment aufzusperren. Vor dreieinhalb Jahren hatte sie ein Ritter zuschanden gemacht. Nach Monaten war sie zurück gekehrt – abgemagert und krank wie eine streunende Katze. Aber ihr Gesicht trug einen entschlossenen Ausdruck, der nicht zu ihrem verächtlichen Stand passte. Seither verschwand sie oft für Wochen, aber so war das fahrende Volk eben. Wenn sie zurück kam, hörte er sich ihre Neuigkeiten und ihre Beichte an und ließ sie seinen Prälaten wieder schlaflose Nächte bereiten. Es war schwer, dachte der Sendlinger verständnisvoll, keuschen Sinnes zu bleiben in einer Welt, in der ein Mann kein Mann war, wenn er nicht jedem Weiberrock nachlief.
    »Vor fünf Jahren hätte ich geschworen, der Streit würde bald entschiedensein«, stimmte ihm sein Gast zu. Es fiel ihm sichtlich schwer, die Unterhaltung ruhig zu führen, denn sein Anliegen war eilig. Aber der Sendlinger schätzte es nicht, wenn er zur Eile gedrängt wurde. »Wir haben alles darangesetzt, die Brüder Ludwig und Rudolf zu versöhnen. Aber jetzt ist Rudolf seiner Krankheit erlegen. Das Schicksal ist eine Gauklerin, und wie alle Gauklerinnen ist es treulos.«
    »Wenigstens hat Ludwig das Bierbrauen dieses Jahr nicht ver boten«, grollte der Sendlinger und vermied es so, seine Ansicht über Gauklerinnen kundzutun. »Das nahm man ihm übler als die Hungersnot und den ewigen Krieg.«
    Der Ordensritter lächelte nicht. »Der Krieg könnte längst ent schieden sein. Aber Getreide kostet überall das Zwölffache. Nicht einmal ein König kann sein Heer noch ernähren, und die Bauern verhungern zu Zehntausenden.«
    Er unterbrach sich. In den letzten Jahren hatte er Dinge ge sehen, die sein Verstand sich aufzunehmen sträubte. Mütter, die leblose Kinder im Arm wiegten und sich verzweifelt weigerten, sie niederzulegen. Vom Hunger aufgeblähte Bäuche, junge Frauen, die ihm ihre ausgemergelten Körper für einen Bissen Brot feil boten. Sein weißer Mantelsaum war schmutzig von bettelnden

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