Die Gauklerin von Kaltenberg
Gesicht verzerrt. Doch sein Zorn half ihm nichts. In seinen Augen mochte Ludwigs Verhalten wenig ritterlich sein, aber es war unbestritten klug.
Friedrichs Zorn entlud sich auf dem Rücken derer, deren er habhaft werden konnte. Quer durch Baiern zog der Habsburger nach Regensburg und hinterließ eine breite Spur der Verwüstung. Ausgebrannte Dörfer, aus denen noch scharf riechende Rauchschwaden stiegen, Katen, deren verkohlte Pfeiler anklagend in den Himmel ragten, ganze Schneisen in Wald und Feldern verrieten seinen Weg. Überall lagen, unter ihren Kleidern kaum zu erkennen, die Leichen. Zerbrochene Puppen und Töpfe, in denen noch die Reste von Suppen klebten, verrieten, dass die Menschen völlig überrascht worden waren. Bauern wimmerten wie verrückt in den Ruinen.So kurz vor dem Winter alles zu verlieren war beinahe ein Todesurteil. Doch den Mann, dem diese Wut galt, den Mann, den König Friedrich einst mehr geliebt hatte als seinen Bruder, bekam er nicht in die Hände. Ludwig von Baiern war spurlos verschwunden.
3
Hinter Mittenwald markierte eine Zollburg die Grenze zwischen dem Bistum Freising und der Grafschaft Tirol. Wagemutig thronte sie auf einem Felsvorsprung über der Römerstraße nach Sü den. Jetzt, da die Schatten in dem schluchtartigen Tal länger wur den, hob sich der Bergfried schwarz vor den rotgoldenen Gipfeln ab. Ungeniert begafften die Waffenknechte Eva und Anna, und sie waren froh, dass Steffen und die Kinder sie begleiteten. Die Aussicht auf die vollen Tische von Kloster Neustift hatte die Gauk ler überzeugt: Sie waren mitgekommen. Obwohl Anna noch im mer ab und zu Lust hatte, Steffen mit ihrem Schuh zu erschlagen, konnte sie sich kaum noch vorstellen, sich eines Tages von ihren Freunden zu trennen.
Sie erkannten das Wappen von Freising auf dem Waffenhemd des einen Reisigers. Das rotweiße des anderen zeigte einen gol denen Löwen auf blauem Grund. Ein Humpen Bier und Würfel unter dem niedrigen Dach der Schutzhütte verrieten, wie sie sich die Zeit vertrieben. Offenbar hatten sich die Grenzer in dieser Einsamkeit zu einem Spielchen getroffen.
Während sie den Zoll bezahlten, sah Anna nach Süden. Ir gendwo weit dort im Süden lag das Bergkloster, von dem Falco net die geheimnisvollen Lieder hatte. Vielleicht würde sie nun endlich erfahren, was es damit auf sich hatte. Sie wusste nicht viel von Tirol, in das Freisings Besitztümer entlang der Römerstraße und dem Isartal wie eine Nadel hineinragten.
»Nehmt euch vor den Bären in Acht!«, grinste der Reisiger, der mit schmutzgeränderten Fingern das Geld nachzählte. »Sie fres sen gern hübsche Frauen. Wie ich.«
»Dasmacht nichts«, lachte Anna. »Wir ziehen ihnen einen Ring durch die Nase und lassen sie auf den Märkten tanzen!«
Innsbruck lag in einem langgestreckten Tal, umgeben von einem gerodeten Kranz von Krautfeldern. Bewundernd bestaunte Anna die schlanken Kirchtürme, die eng aneinanderliegenden Häuser und die wehrhaften Tore am Inn. Schon draußen brüllten Weiber Gemüse aus, wurden Vieh und sogar kostbare Glaswaren feilgeboten. Es wirkte, als sei Innsbruck eine bedeutende Stadt, da bei lebten die Bewohner vor allem vom Zoll.
Gleich hinter dem Tor gab es ein Badehaus. Eva sagte, sie sei nicht schmutzig, aber Steffen kam mit, um einen Medicus zu su chen. Der alte Hexenschuss war ihm wieder in die Glieder gefah ren. Nicht einmal den fahrenden Huren am Kreuzweg schenkte er mehr als einen bedauernden Blick.
Die Badestube war beengt und so voll heißem Dampf, dass Anna im ersten Moment kaum etwas erkennen konnte. Sie hörte Lautenmusik und roch Kräuter. Allmählich schälten sich die Kon turen der hölzernen Podeste heraus, auf denen die Zuber aufge stellt waren. Über einige waren mit Tellern und Schüsseln bela dene Bretter gelegt. Männer tranken Bier und stritten mit heftigen Gesten über den König und den neuen Papst Johannes XXII. Zu frieden bemerkte Anna, dass Männer und Frauen hier nicht ge trennt waren. Das erleichterte ihr Vorhaben.
Manche Wannen waren durch über Stangen gehängte Tücher vor Blicken geschützt, doch die meisten Leute waren weniger zartfühlend: Wenn die Bademägde in ihren leichten Hemdchen mit dem Bottich vorbeikamen, wurden sie von den Gästen offen befingert. Beim Anblick von Annas roter Cotte und offenem Haar drehten sich alle Männerköpfe herum. Jedermann wusste, dass sich Gauklerinnen ihr Badegeld oft als Gelegenheitshuren ver dienten. Steffen grinste ihr trotz der Schmerzen zu.
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