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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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sagte Freudenreich.
    » Archipoeta ?«, wiederholte sie.
    Er schien die Frage erwartet zu haben. »Niemand weiß, wie er wirklich hieß, aber jeder höfische Spielmann kennt ihn – den Erz dichter. Es war der Spitzname eines Geistlichen, der vor mehr als hundert Jahren im Dienste Rainalds von Dassel stand: des Erz bischofs von Köln.«
    Ein Kleriker, im Dienst eines angesehenen Bischofs. Anna wagte nicht einmal zu atmen, als könne die lautlose Bewegung der Luft seine Worte ungesagt machen.
    »Niemand hat ihn deswegen angeklagt«, vollendete Freuden reich. »Sein Lied steht hier in einem Buch, das einem hochwür digen Kirchenfürsten zugedacht war. Das da«, er tippte auf die Seite, »ist der Bürge, den du gesucht hast.«
    »Wisst Ihr das sicher?« Anna konnte es noch nicht glauben.
    »Mein Herr hat mir bestätigt, wozu das Buch gemacht wurde.«
    »Und dieser Archipoeta ist wirklich kein Ketzer?«
    Freudenreich schüttelte den Kopf. »Ein Heiliger war er nicht gerade. Aber auch kein Ketzer.«
    Sie sah auf. »Warum habt Ihr das für mich getan?«, fragte sie leise.
    Er lachte. »Frau Kunter hat mir schlimmer zugesetzt als du. Ohne dich läge sie jetzt tot im Eis. Sie ist eine gute Seele, aber sie kann ziemlich hartnäckig sein, um ihren Willen zu bekommen.«
    Anna schloss die Augen. Sie hatte das Gefühl, von einer zent nerschweren Last befreit zu sein.
    Sie dachte an Ulrich, wie er auf seinem Schimmel über den Hof von Kaltenberg trabte, an die Menschen, die sie hatte zurücklassen müssen. Den Himmel voll weißer Föhnwolken, die Kinder, die im Wald beim Schweinehüten spielten. Das warme Feuer der Schmiedeihres Vaters, wo sich die Männer des Dorfes trafen. Eine tiefe Dankbarkeit erfüllte sie.
    »Da ist nur eins«, riss Freudenreich sie aus ihren Träumen. Er nahm einen Schluck aus seiner Flasche. »Herzog Leopold von Österreich ist hier. Du kannst es nicht wissen, aber ich war gestern dabei, als er in Brixen mit dem Bischof und meinem Herrn gespeist hat.« Er zögerte. »Wenn du mich verpfeifst, reißt mir der Graf den Kopf ab.«
    »Ich werde nichts sagen«, versicherte Anna schnell.
    Er druckste herum. »Ich habe bei Tisch von dem Buch erzählt. Der Wein … du kennst ja mein Laster. Herzog Leopold will das Buch für sich«, sagte er. »Er will es König Ludwig schicken, und der Bote, der es überbringt, soll ihn töten. Morgen früh will er es mitnehmen, deshalb ist er hier.«
    Das Schweigen war so lange, dass sie die Glocke zur Vesper bis hierher hören konnten. Annas Hände schlossen sich fester um das Buch. »Was sagt Ihr?«, flüsterte sie.
    »Leopold hat schon einmal versucht, seinen Vetter zu töten. Der neue Papst kann Ludwig genauso wenig leiden wie er.« Freuden reich wand sich wie eine gefangene Maus, aber sein Redefluss war trotzdem nicht zu bremsen. »Auch der Heilige Vater braucht welt liche Güter. Die Vermögen der überführten Ketzer sind eine Ein nahmequelle, auf die Papst Johannes nicht verzichten will. Aber seit Ludwig herrscht, hat die Inquisition im Reich nichts mehr zu sa gen. Sollte der König so sterben, wie es Leopold will, wäre der Mör der vor dem Bannstrahl des Papstes einigermaßen sicher. Und dann könnte das Buch doch noch zu einem Ketzerwerk erklärt werden«, warnte er. »Seit mehr als dreißig Jahren sind Bücher mit obszönem Inhalt verboten. Was obszön ist, darüber denkt jeder anders. Aber für Leopold wäre es ein wunderbarer Vorwand. Jeder würde sich fragen, welche Art Bibeln Ludwig eigentlich studiert hat.«
    Entsetzt starrte sie ihn an.
    »Jetzt weißt du es«, sagte Freudenreich erleichtert. »Ich wollte nichtder Einzige sein.« Ohne ein weiteres Wort bückte er sich unter dem niedrigen Türsturz und lief die Treppe hinunter.
    Anna starrte ihm nach. In dem hohen Ziegelgewölbe fror sie erbärmlich, aber sie konnte nur an die Carmina denken. Herzog Leopold wollte sie nicht nur für den Mord benutzen, sondern gleichzeitig Ludwigs Ruf vernichten. Vermutlich würde er das Buch danach verbrennen lassen.
    Annas Herz schlug zum Zerspringen. Lieber hätte sie Leopold ihre eigene Seele überlassen. Vielleicht war es Falconet damals so gegangen, als er die Pergamentseite gestohlen hatte.
    Sie sah auf die Handschrift, dann über die Schulter. Alle Leute würden jetzt zur Vesper in der Stiftskirche sein. Der Hof wäre ver lassen. Und vor morgen früh würde Leopold nicht nach dem Buch sehen.
    Als sie die Hände danach ausstreckte, überfiel sie Angst. Leo pold würde ihr

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