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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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unaufhaltsam, also hütet euch vor den Gauklern und ihren unzüchtigen Liedern und Späßen«, über schrie der Mönch die schmatzenden und lachenden Zuhörer. »Lasst ab von Musik und Tanz, von Fleisch und Wein, sie lenken ab vom Glauben. Pflegt eure Seelen, nicht eure Haut! Den Lohn für eure Leiden bekommt ihr im Paradies, und keinen Augenblick früher!«
    Ein junger Pilger verschluckte sich vor Schreck an seinem Fla den.Der redet wie meine Mutter, dachte Anna. Sosehr sie ihre Predigten früher gehasst hatte, jetzt überfiel sie etwas wie Zärtlichkeit. Auch ihre Eltern konnten nicht ewig unversöhnlich bleiben. Solange dieser Bursche wetterte, war für sie nichts zu holen. Sie wollte durch die Menge verschwinden, da hallten Hufe im festungsartigen Torhaus wider.
    Neugierig stießen sich die Leute beiseite. Ein Mann in glänzen der Rüstung und vergoldeter Helmzier galoppierte in den Hof. Ritter mit Fahnen und Wimpeln folgten ihm. Ihre Pferde trugen kostbar genähte Satteldecken. Rufe und Befehle durchschnitten die klösterliche Stille, und barsch verscheuchten sie die Bettler.
    Dieses Gefolge war fürstlich, dachte Anna neugierig. Ein edler Herr, der um diese Jahreszeit reiste, fiel auf. Die Knechte, die sein großes Streitross hielten, selbst seine Ritter behandelten ihn mit unterwürfiger Scheu. Als wären sie seine Leibeigenen, dachte sie. Der Mann nahm den Helm ab, und sie verstand die Furcht seines Gefolges.
    Der blonde Mann hätte selbst mit der Narbe gut aussehen kön nen. Aber ein grausamer Zug lag um die sinnlichen Lippen, und die blassblauen Augen waren gläsern kalt. Obwohl Anna ihn noch nie gesehen hatte, hatte sie sofort das Gefühl, dass dieser Mann nichts Gutes brachte.
    Sie war so versunken, dass sie zusammenfuhr, als jemand ihren Arm berührte. »Komm mit«, sagte Freudenreich. Er schien sogar halbwegs nüchtern. »Ich glaube, ich habe, was du suchst.«
    Er schob sie in den Rundbau. Annas Herz raste wie verrückt. So lange hatte sie gehofft, endlich zu Ulrich nach Kaltenberg zurück gehen zu können. Ihr Ziel jetzt greifbar vor Augen zu haben war beinahe mehr, als sie aushalten konnte.
    Ein hoher gemauerter Gang führte in das festungsartige Innere. In dem runden Raum am Ende drängten sie sich an den Pilgerzellen vorbei und stiegen eine Treppe hinauf. Bis auf den kleinen Altarwar die Kapelle im ersten Stock leer. Ein Buch lag auf einem geschnitzten Standpult. Es war wärmer als draußen, und dankbar rieb sie sich die Hände.
    »Ich habe es aus der Bibliothek herüberbringen lassen. Es ist zwar nicht gerade ein Prachtstück, aber es ist einmalig.« Er be merkte, dass sie zögerte. »Nur zu, sieh es dir an.«
    Langsam trat Anna an das Pult. Das Buch war in einen einfachen lederbezogenen Holzdeckel gebunden. Ihre Finger bebten, als sie das weiche Material berührte. In jedem dieser Pergamentblätter war etwas unsterblich geworden, das sonst unwiederbringlich verloren wäre. Sie hatte das Gefühl, als könnte sie das Lachen die ser unzähligen Menschen hören. Den Schweiß ihrer Arbeit, ihr Lieben, selbst ihre Todesschreie, der Raum war erfüllt von ihren Stimmen. Vorsichtig schlug sie das Buch auf. Auf der ersten Seite sah sie das Schicksalsrad.
    »Das Blatt liegt nicht da, wo es sollte«, bemerkte Freudenreich. Anna fragte sich, warum er flüsterte. »Daran ist dein Freund Fal conet schuld. Sie haben es nachträglich darangeheftet. Es war einer der Ahnen meines Herrn, der es schreiben ließ: Graf Albert von Tirol. Ich fürchte, nicht ohne einen boshaften Hintergedan ken«, grinste er. »Es war nämlich für den Bischof von Brixen be stimmt, mit dem er gerade erst eine Fehde beendet hatte. Aber der geistliche Herr fand keine Gelegenheit mehr, sich über das Ver söhnungsgeschenk zu ärgern. Er starb.«
    Das passte zu den Carmina! Hätte sich Anna die Geschichte dieses Buches ausdenken sollen, wäre ihr nichts Besseres einge fallen. Bemüht, sich ihre Hast nicht anmerken zu lassen, blätterte sie die Seiten um. Ihre Hände zitterten. Was, wenn ihre Ankläger recht gehabt hatten? Wenn der Verfasser des Liedes ein Ketzer war?
    Sie musste sich strecken, um in das Buch sehen zu können. Freudenreich kam heran und half ihr. »Ist es das hier?«
    Anna klammerte sich so fest an das Stehpult, dass ihre Finger knöchelweiß hervortraten. » Estuans interius ira vehementi …« Sie stockte. Es war der Beginn des Liedes, das ihr die Anklage wegen Hexerei eingebracht hatte.
    »Der Archipoeta hat das verfasst«,

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