Die Gauklerin von Kaltenberg
Kranke, der Verbannte, unbekannte, … trinkt der Bischof, der Dekan, … trinkt die Mutter, trinkt die Alte. … Trinken hundert, trinken tausend! … Wer uns schimpft für uns’re Taten, der soll in der Hölle braten! …«
DieLeute klopften mit den Schuhen den Takt. Ein paar junge Männer fassten sich an den Schultern und begannen zu tanzen. Raoul stellte seinen Becher ab und wandte sich zum Gehen. Aber offenbar kostete es ihn Überwindung. Er zögerte, blieb wieder stehen, um dann entschlossen auf die Tür zuzusteuern.
Anna war wie besessen von dem Gedanken, dass er jetzt nicht gehen durfte. Sie packte das Schwert, das ein Ritter an den Tisch gelehnt hatte und schlug mit der flachen Klinge auf den Tisch. Mit glühendem Gesicht warf sie die Locken zurück und sang:
» Chramer, gip die Varwe mir … Kramer, gib mir Schminke, die die Wangen rötet, damit ich die jungen Männer verführe, ob sie wollen oder nicht !«
Der Rhythmus riss sie mit, Wein rauschte in ihrem Kopf, das rote Kleid klebte an ihr. Sie nestelte an ihrem Gürtel. Langsam lo ckerte sie das Band und ließ die Hände um ihre Hüften nach vorn gleiten. » Seht mich an, junge Männer, lasst mich euch gefallen !«
Sie warf den Gürtel in die Menge. Ein blonder Kerl fing ihn, und sofort stürzten sich alle johlend auf ihn, um ihm seine Beute abzujagen. Krachend flogen die Holzbecher zu Boden. Anna lachte und hob ihren Humpen, einer zog sie an sich. Er begann sie zu befingern und flüsterte ihr fordernde Worte ins Ohr.
Anna lachte und wollte ihn wegschieben. In diesem Moment packte ihn jemand von hinten. Brutal riss Raoul den Knecht zu rück und stieß ihn mitten in die Menge.
»Hör auf damit!«, fuhr Raoul sie an. Auf seinem Haar glänzte der rötliche Fackelschein. Die Knechte hatten sich auf ihn stürzen wollen, aber als er sich zu ihnen umdrehte, wichen sie zurück.
»Ihr habt mich gehen lassen, also gebt mir keine Befehle!«, schrie sie zurück. Sie wusste nicht einmal, ob es das war, ob ihre Wut wirklich ihm galt oder ihr selbst. Warum musste er sie so an sehen! Unbeherrscht spuckte sie das rote Haar aus, das sie mit dem Atem eingesogen hatte. »Ich wäre schon selbst mit diesem Schwachkopf fertig geworden.«
Rücksichtslosdrängte sie sich an den Mägden vorbei durch die schmale Pforte ins Freie. Kalte Abendluft schlug ihr entgegen, die schneebedeckten Berge hoben sich schwarz vom wolkenzer rissenen Himmel ab. Das Tor zur überdachten Brücke war noch offen. Tränen der Wut liefen Anna über die Wangen, als sie auf die kleine Scheune am andern Ende zulief. Der Eisack unter ihr führte schon Schmelzwasser und rauschte so laut, dass sie den Lärm aus der Taverne nur gedämpft wahrnahm.
Schnelle Schritte näherten sich hinter ihr auf den Bohlen, sie drehte sich um. Der Wind wehte ihr die Locken ins Gesicht und drohte Raoul den Mantel von den Schultern zu fegen. Warum hörte er nicht endlich auf, sie zu quälen!
»Ich habe erfahren, wer mein Vater ist«, sagte er. Er sprach ge hetzt, wie sie es noch nie bei ihm erlebt hatte. »Sein Name ist Kon rad von Haldenberg. Kaltenberg ist sein Besitz, und ich werde mit Ulrich darum kämpfen.«
Und dann würde er die Frau nicht am Leben lassen können, die einen Fluch gegen ihn ausgesprochen hatte.
Er trat an das Geländer und legte die Hände darauf, wie um sie nicht ansehen zu müssen. Der Föhn trieb Wolkenfetzen über den glühenden Himmel, zerrte an seinem Haar und der Cotte wie bei ihrer ersten Begegnung. Plötzlich warf Raoul den Kopf zurück, und die unsichtbare Mauer zwischen ihnen brach zusammen. »Verdammt, ich will dich nicht töten!«, schrie er sie an.
Anna starrte ihn an. Jahrelang hatte sie nur der Gedanke an Ul rich aufrecht gehalten. Für ihn hatte sie alles ertragen, den Hun ger, die Kälte, selbst die Schande. Für ihn hatte sie alles aufs Spiel gesetzt, alles geopfert. Niemals würde sie ihn aufgeben. Und doch musste sie gewaltsam gegen das Bedürfnis ankämpfen, Raoul zu berühren. Mit Tränen in den Augen schrie sie zurück: »Ich hasse dich! Zum Teufel mit dir!«
Mit aller Kraft schlug sie nach ihm. Er fing ihre Hand ab und hielt sie auf seiner Brust fest. Mit einem Blick, der in ihr Innerstes drang,sah er ihr in die Augen. Ihre Lippen zitterten. Nicht Raoul!, pochte es in ihr. Jeder, nur nicht er – niemals!
Mit einem erstickten Laut ließ er sie los.
Anna ließ ihre Hand auf seiner Cotte liegen. Seine Wärme war durch den Stoff spürbar, das leichte Heben und Senken
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