Die Gauklerin von Kaltenberg
seiner Brust. Zum ersten Mal hatte sie diese Wärme in der Köhlerhütte gespürt. Sie erinnerte sich an den Ledergeruch, der sich in sein Parfüm mischte. Unter ihnen rauschte der Fluss, und die über dachte Brücke schirmte sie von der Welt ab. Widerstrebend glit ten ihre Finger nach oben. Sie berührten seinen Mund und glitten über den Bart auf seinen Nacken.
Raoul beugte sich zu ihr und küsste sie.
Anna schloss die Augen. Er berührte sie wie etwas unendlich Kostbares, das er nicht zerstören wollte. Unter den Händen fühlte sie die warmen Muskeln seiner Schultern, seine Finger in ihrem Haar. Ihre Lippen spielten miteinander und fanden sich wieder. Sie hatte nicht geglaubt, dass dieser Mann zärtlich sein konnte.
Ein Prickeln lief ihren Nacken hinab. Sie konnte sich nicht mehr belügen. Ihr Widerstand, ihre Ziele, ihre Pläne wurden weg gerissen wie das Eis am Ufer des Wildwassers.
Raoul drängte sie an das Geländer, die schweren Balken schnit ten in ihren Rücken. Anna vergrub die Finger in seinen Locken. Ihr Körper bebte unter seinen Händen, seinen fordernden Lippen, die Berührung entzündete ein wildes, schmerzhaftes Verlangen. Mit verzweifelter Leidenschaft presste sie sich an ihn, küsste ihn, wie sie noch nie einen Mann geküsst hatte. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte sie sich in den Armen eines Mannes nicht wehrlos.
»Du wolltest mich zur Hölle schicken, wenn ich dich berühre!«, stieß er hervor.
Wortlos verschloss sie ihm den Mund mit den Lippen und tas tete nach seinem Gürtel. Was gestern gewesen war, bedeutete nichts mehr, es war unwichtig, wie das, was kommen würde. Sie wollte ihn so heftig, dass es in ihrem ganzen Körper pochte.
Raoulhob sie auf und trug sie über die Brücke zur Scheune. Anna schlang die Beine um seine Hüften. Sie konnte sich nicht von seinen Lippen lösen.
Eine Linde war halb in das Schindeldach gewachsen, die Wände völlig mit Wildrosen zugewuchert. Raoul stieß die Tür auf und setzte Anna sanft ab. Ihre Kleider landeten irgendwo im Stroh. Ein fahler Lichtstreifen fiel auf die schimmernde Haut sei ner Schultern, tauchte ihn wieder ins Dunkel und hob ihre Brüste hervor, ihre nackten Arme. Lächelnd fanden sich ihre Lippen. Annas langes Haar floss auf ihn herab, ihre Hände glitten über sei nen Körper, und er ließ es zu. Nie hatte ihr ein Mann erlaubt, ihn so zu berühren.
Raoul beugte sich wieder über sie. Zärtlich strich er ihr eine feuchte Strähne aus der Stirn, ihre Blicke trafen sich. Sie überließ sich seinen zärtlichen Händen, die sie wärmten. Seine unrasierte Haut kratzte auf ihrer, und ein zitterndes Seufzen rang sich über ihre Lippen. Mit langsamen, leidenschaftlichen Bewegungen spielte er mit ihrem Begehren, bis sie glaubte, sie würde wahnsin nig werden. Als sein Mund über ihren Hals glitt, spürte sie an sei nem stoßweise gehenden Atem, dass auch er sich nur mühsam zurückhielt.
Anna zog ihn fester an sich. Sie liebten sich heftig, als hätten sie jahrelang danach gehungert. Der Sturm rüttelte an den Wänden und übertönte ihre rhythmischen Schreie. Sie hörte es nicht mehr. Es gab nur noch ihn und sie und das alles überwältigende Ver langen nach ihm, das zitternde Glücksschauer durch ihren Kör per jagte. Mit allen Sinnen wollte sie diesen Augenblick festhal ten.
Irgendwann, als ihre schweißfeuchten Körper noch vom Nach hall der Lust bebten, sank er auf sie und küsste sie. Und halb be nommen hörte sie ihn die Worte flüstern, die ihr Ulrich nie gesagt hatte: »Ich liebe dich … Ich liebe dich, Anna!«
FünfterTei l
In trutina mentis dubi a Fluctuant contrari a Lascivus amo r Et pudicitia .
Auf der Waage meines Herzen s Streiten widerstrebende Gefühle : Laszive Begierd e Und Keuschheit .
Were diu werlt alle mi n Von deme mere unze an den ri n Des wolt ih mih darbe n Daz diu chunegin von engellan t Lege an minen armen .
Wäre die ganze Welt mei n Vom Meer bis an den Rhei n Ich gäbe sie auf , wenn die Königin von Englan d in meinen Armen läge .
1
Hoch auf dem Felsen duckte sich das letzte Tiroler Zollhaus an die Bergflanke. Die tiefhängenden Dachsparren hätten auch dann kaum Licht in die Gaststube gelassen, wenn das mit einer Schweinsblase bespannte Fenster größer gewesen wäre. Aber weder die Dunkelheit noch die von Fackeln verrauchte Luft störte Anna.
Sie war froh gewesen, eine Reisegruppe zu treffen, die ihr Schutz bot. Die erbarmungslosen Augen Herzog Leopolds hatten ihr un missverständlich
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