Die Gauklerin von Kaltenberg
tung. Für einen Moment kämpfte er gegen das Bedürfnis an, sich vor dem Mann niederzuwerfen und zu fragen, ob er Gott sei. Oder der Teufel.
»Nun?«, wiederholte der Fremde ungeduldig.
»Aber – das ist sie, Herr!«, erwiderte der Junge stockend. »Die Straße nach Landsberg!«
Mit hochgezogenen Brauen sah der Ritter vor sich auf den Weg. Der Junge wunderte sich, denn die Karrenspuren, die sich in die feuchte Erde gegraben hatten, das niedergetretene Gras – das alles war schließlich gut zu erkennen.
Der Fremde zuckte die Achseln und warf ihm eine Münze zu. Es war ein kleiner Silberling mit einer seltsamen Prägung, die der Junge noch nie gesehen hatte. Er biss prüfend darauf, dann blickte er auf. Doch der Nebel hatte den Ritter bereits verschluckt.
Als sich endlich die Umrisse von Burg Landsberg vor Raoul aus dem Nebel schälten, ergriff eine fieberhafte Erregung von ihm Besitz. Noch nie war er dem Ziel so nahe gewesen, für das er alles ver lassenhatte. Er musste sich beeilen, ehe jemand herausfand, wer er wirklich war. Und ausgerechnet jetzt brachte dieses Mädchen seine Pläne durcheinander.
Zu gut wusste Raoul, dass es klüger gewesen wäre, sie zu töten. Aber ihr Mut gefiel ihm, und sie hatte etwas in ihren Bewegun gen und ihrer Stimme, das ihn reizte. Er war kein Mann, der sich selbst belog, wenn er eine Frau wollte.
Seine angespannte Erwartung steigerte sich, als er den steilen Pfad abwärts ritt. Rauchschwaden aus dem Lechtal wiesen ihm den Weg. Er hatte schon befürchtet, sich in diesen Wäldern zu verirren. Den fahlen Lichtfleck am Himmel konnte man nur mit reichlich gutem Willen Sonne nennen, und das, was man hier als Straßen bezeichnete, war bestenfalls an den Kotspuren als solche zu erkennen.
Der Weg führte an der Burg vorbei, die fast den ganzen Gipfel einnahm. Die Verteidiger, die sie noch immer hielten, ließen ihn passieren – ein Einzelner war keine Gefahr für sie. Nur ein Bo genschütze beobachtete ihn wachsam von den Zinnen aus. Raoul überquerte einen vom Regen angeschwollenen Bach. Schiefe Zäune und tief herabreichende Strohdächer säumten den Weg, aber die Vorstadt war verlassen. Wer konnte, war offenbar zu Ver wandten geflohen.
Endlich erhob sich das aus Ziegeln gemauerte Osttor vor ihm. Auch die Stadtmauer war auf dieser Seite unversehrt – mit den österreichischen Rittern war er von der westlichen Lechbrücke her eingedrungen. Sonderbar, dachte er, wie ihn das Schicksal her geführt hatte: Von Schwaben aus hatten sie die Banner Habsburgs nach Augsburg getragen. Schon war München mit der Burg der Wittelsbacher zum Greifen nahe gewesen. Doch dann hatte die freie Reichsstadt Augsburg ihnen die Lechbrücke verschlossen, und sie hatten nach Landsberg ausweichen müssen. So war er schneller als erwartet nach Kaltenberg gekommen.
Im Torbogen bot schon wieder eine alte Frau Schmalz feil, und einKrüppel hoffte auf eine Gabe. Raoul warf ihm eine Münze zu. Die stinkenden Geschwüre waren weit eher dem Dreck zuzuschreiben als dem Aussatz. Sie machten ihm keine Angst. Außerdem wusste er, wie es war, ein verachteter Fremder zu sein.
Als er aus dem Schatten ritt, zeigte der langgezogene Markt platz noch deutliche Spuren der Schlacht. Der starke Qualmge ruch überdeckte sogar den der Latrinen, die jetzt auch noch von verbranntem Hausrat verstopft waren. Hunde schnüffelten in den Abfällen, ein Handkarren ratterte über das Pflaster, aber noch lag eine befremdliche Ruhe auf der Stadt. Wie überall machte man Raoul scheu Platz. Nicht einmal die Kinder wagten es, ihn anzu betteln. »Der schwarze Ritter ist mit dem Teufel im Bund«, hörte er jemanden flüstern. »Er hat nur die Hand gehoben, und Feuer und Qualm regneten auf das Tor!«
Die Männer im Oberstock des Rathauses von Landsberg blickten auf, als ein Knappe Raoul meldete. Leopold, der jüngere Bruder des Königs, wies sichtlich ungehalten auf das Pergament in seinen Händen.
»Nicht jetzt!«, schnauzte Friedrich von Habsburg. Als der Knap pe nicht sofort verschwand, versetzte er ihm eine Ohrfeige. Wal lende blonde Locken und die auffällig großen blauen Augen hat ten dem erst Sechsundzwanzigjährigen den Spitznamen »der Schöne« eingebracht. Ein frischer Verband um seine Linke bewies, dass er an der Schlacht um die Stadt selbst teilgenommen hatte. Ebenso sprichwörtlich wie seine Schönheit und seine Tapferkeit waren auch seine Grausamkeit und sein Hochmut.
Raoul war nicht der Einzige, der ihn dafür hasste. Aber
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