Die Gauklerin von Kaltenberg
Ulrich.
Unwillig winkte der Rohrbacher das Mädchen weg. Sie ge horchteund legte noch frische Bilsenkrautsamen aufs Feuer. Sofort durchwölkte der berauschende Duft die Badestube. Er warf das nasse Haar zurück, griff nach dem Handtuch, das sie ihm reichte, und stieg aus dem Zuber.
»Nun, Bastard«, spottete er, während er das Tuch um die Hüf ten schlang. Es klang etwas undeutlich, denn seine Nase war ge schwollen und blutig. »Wollt Ihr frisch gebadet auf den Scheiter haufen steigen?«
Raoul trat so dicht an Ulrich heran, dass er die Kräuteressenzen von dessen Badewasser riechen konnte. »Seht Euch vor«, zischte er leise drohend. Seine Finger spielten mit dem Dolch am Gürtel. »Ich kann Euch auch aus der Badestube vor Euren ewigen Rich ter schicken.«
»Raoul!«
Der vertraute Klang dieser Stimme ließ ihn herumfahren. Raouls Puls schlug schneller, als er die junge Frau im Eingang erkannte. Auf einmal wurde ihm klar, wozu er sich beinahe hätte hinreißen lassen. Er starrte Ulrich noch einmal kurz ins Gesicht, aber dann folgte er Anna hinaus.
Obwohl es ihr schwerfiel, schob Anna Raouls Hände von ihren Hüften und zog ihn zum Zelt zurück. Verstohlen und räuberisch nahmen ihre Blicke voneinander Besitz. Seine Locken waren feucht, und auf Kinn und Wangen lagen dunkle Schatten. Den gan zen Tag hatte sie sich nach ihm gesehnt. Vor dem Zelt hielten sie es schließlich nicht mehr aus. Raoul nahm sie in die Arme. Sie berührte sein Gesicht und fühlte seinen schnellen Atem. Ihre Lip pen spielten miteinander und fanden sich.
»Komm heute Nacht zu mir!«, stieß er hervor.
Sie vergrub ihre Hände in seinem Haar und umarmte ihn hef tig. Das Wollgewand war voller Schweißflecken, aber sie genoss seinen vertrauten Geruch. Als sie ihr Gesicht an seine Schulter presste, kämpfte sie mit den Tränen.
»Wasist denn mit dir?«, fragte er zärtlich. Er konnte nicht wis sen, was in ihr vorging.
»Hör mir zu, es ist wichtig«, erwiderte sie. Sanft befreite sie sich. »Es gibt hier eine Sitte, wenn zwei Familien eine Blutfehde been den. Die Familie des Mörders stellt ein Kreuz aus Stein auf, dort, wo der Mord geschehen ist. Es erinnert die Lebenden daran, dass hier Blut vergossen, aber auch, dass es gesühnt wurde.«
Er zog sie wieder an sich, und Anna brachte es nicht fertig, sich zu wehren. »Wenn du weiterkämpfen könntest – wenn du deinen Anspruch auf Kaltenberg durchsetzen könntest … würdest du die ses Kreuz aufstellen?«
Raoul ließ sie los. Scharf sah er sie an. »Warum?«
»Würdest du?«
»Weil es so Sitte ist? Weil es die Regeln verlangen? Regeln be folgen kann auch ein Hund!«
»Auch das Recht in die eigenen Hände zu nehmen ist ein Ver brechen.« Anna strich ihr Kleid glatt und richtete ihr wirres Haar. »Dein Vater hat es bereut – damals, als man ihn ächtete.«
Überrascht fasste er sie bei den Schultern. »Was weißt du von meinem Vater?«
Annas Lippen zitterten, ihre Finger berührten sein Gesicht. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Langsam ging sie zum Zelt. Ein hochgewachsener Mann im Ordenshemd der Deutschherrn wartete im Inneren. Das wellige Haar war grau, und er wirkte gezeichnet von lange vergessenen Leidenschaften. Einen Augenblick wollten die Worte nicht über ihre Lippen. »Konrad von Haldenberg«, sagte sie endlich. Aber ihre Stimme klang erstickt.
Raouls Augen wurden dunkler. Seine Lippen öffneten sich un gläubig. Er starrte sie an, sah von ihr zu dem Deutschherrn. Lang sam und unschlüssig, wie sie ihn nie erlebt hatte, ging er auf ihn zu. Ehe sie wieder ins Freie trat, hörte sie seine dunkle Stim me: »Vater …«
15
Raouls Stimme versagte. Wortlos stand er dem Mann gegenüber, den er sein Leben lang vergeblich gesucht hatte. Das Stöhnen der Verwundeten, das Klirren der Waffen, die gereinigt wurden, und die Geräusche der Tiere verschwammen, er nahm sie kaum noch wahr. Jahre waren vergangen, seit ihn der Deutschherr aus dem Verlies von Kaltenberg geholt hatte. Aber er erinnerte sich sofort an dieses Gesicht, das ihn aus seinen Fieberträumen gerissen hatte. Damals hatte er ein unsichtbares Einverständnis zwischen ihnen gespürt, das er nicht vergessen hatte.
»Du ähnelst deiner Mutter«, sagte Konrad endlich. »Ich erin nere mich an ihr Haus. An der Stadtmauer, nicht weit von der Or densburg. Und ich erinnere mich an ihre dunklen Augen.«
»Seit wann …« Raouls Stimme brach wieder ab. »Seit wann wisst Ihr es?«
»Seit du in Landsberg den König gesprochen
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