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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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auf.
    Raouls dichtbewimperte Lider waren geschlossen. Die vorste hendenWangenknochen und das kräftige Kinn wurden vom Morgenlicht aus dem Schatten gemeißelt. Mühsam widerstand sie der Versuchung, ihn wieder zu küssen, stattdessen zog sie zärtlich das Fell über ihn. Er würde seine Kräfte brauchen.
    Sie wollte aufstehen, doch er hielt sie am Ellbogen zurück. Überrascht blickte sie auf ihn herab. Er hatte die Augen geöffnet und sah sie hellwach an. Von draußen drang gedämpft der Ruf eines Herolds herein. »Es ist Morgen«, flüsterte sie. »Hör doch.«
    »Soll ich wirklich?« Lächelnd legte Raoul die Hand auf ihren Nacken, und sein Arm schimmerte durch ihr Haar. Sie wünschte, die Nacht würde noch dauern, nur einen Augenblick, dann noch einen … Anna beugte sich über ihn. »Vielleicht ist es doch noch nicht so spät.«
    Er zog sie zu sich herab, und alles andere wurde ihr gleichgül tig. Es gab nur noch sie beide, hier und jetzt. Ihre Lippen fanden sich in langen, fordernden Küssen. Unter ihren Händen bewegten sich die Muskeln unter seiner gebräunten Haut, seine Finger glit ten über ihren Rücken. In seinen Armen fühlte sie sich stark und glücklich, hatte vor nichts mehr Angst. Wieder rief der Herold, diesmal etwas näher. Widerwillig befreite sie sich. »Es ist Zeit.«
    Er beobachtete sie, während sie ihr Unterkleid aufhob, und sie genoss seine Blicke mit langsamen Bewegungen. Schließlich zog sie noch das Haar aus dem Kleid und ließ es über den Rücken fal len.
    Während er nach seinem Hemd griff, sah sie hinaus, wo das morgendlich ruhige Lager vor ihr ausgebreitet lag. Ein Junge trieb eine Herde blökender Ziegen durch die Zelte, die ersten Rit ter krochen aus ihren Zelten und reckten die geschundenen Kör per in den Hemden. Sie hörte Raoul hinter sich herankommen, schmiegte sich in seine Arme und spürte seine Lippen, die ihre suchten und fanden. Seine Hände auf ihren Hüften weckten das Verlangen von neuem.
    Steffen war nirgends zu sehen, nur Maimun tauchte verschla fenauf und etwas später Sebastian. Also half Anna ihrem Geliebten in das schwere gesteppte Untergewand aus Filz und Wolle. Darüber kamen Kettenhemd, Kapuze und Beinlinge, die am Gürtel befestigt und unter den Sohlen geschnürt wurden, und schließlich Arm- und Beinschienen und der leinene, mit Eisen verstärkte Plattenrock. Während sie die Lederriemen festzog, folgte er ihr mit Blicken, und immer wieder lächelten sie sich verstohlen zu.
    »Sobald ich Herr von Kaltenberg bin, bist du meine Leibeigene, nicht mehr die von Hermann. Dann werde ich dafür sorgen, dass es niemand wagt, dich eine Hexe zu nennen«, versprach Raoul und zog sie an sich. »Wärst du ein Mann, könntest du es weit brin gen, weißt du das?«
    Anna nahm sein Gesicht in die Hände und küsste ihn. Er wusste genauso gut wie sie, dass das nichts änderte. Ein Mann konnte mit viel Glück und Begabung die Schranken seiner Geburt überwin den. Eine Frau niemals.
    Während er den Topfhelm festschnüren ließ, nahm sie die Lanze und den neuen Schild, der aus mehreren verleimten Holzschichten bestand, mit Leder überzogen und mit Eisen beschla gen war. Zum Schluss reichte sie ihm noch das lange Schwert in den Sattel. Ihre Hände berührten sich dabei.
    Raoul musste zur Frühmesse und nahm Sebastian und Maimun mit. Anna folgte ihm mit den Augen, bis sein Rappe zwischen den Zelten nicht mehr zu sehen war. Ein Schwein schnüffelte zwischen den Zelten herum, der Duft von frischem Brot und Dünnbier erinnerte sie daran, dass sie noch nichts gegessen hatte. Es war noch etwas Zeit: Knirschend polierte der Knappe nebenan die Brechscheibe an der Lanze seines Herrn. Er hatte nicht die ganze anderthalb Klafter lange Lanze zusammengesteckt, sondern nur den unteren Teil vor sich. Auch Raouls Lanze trug eine solche Scheibe. Er hatte ihr gesagt, warum: So konnte man besser auf den Gegner achten und die Waffe ruhiger halten. Anna strich über ihr Kleidund bemerkte, dass sie ihren Gürtel vergessen hatte. Vielleicht lag er noch im Zelt.
    »Das dachte ich mir, dass wir sie hier finden.«
    Anna fuhr beim Klang von Ulrichs Stimme herum.
    Im Morgengrauen wirkte er größer als sonst. Seine Augen hat ten den gewohnten verhangenen Ausdruck, aber sie fand nichts Reizvolles mehr daran. Vergeblich suchte sie den Mann, den sie geliebt hatte, doch verglichen mit Raoul erschien er ihr jetzt farb los. Ulrich war unbewaffnet bis auf das Schwert, doch hinter ihm näherten sich seine Knechte.

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