Die Gauklerin von Kaltenberg
tun, was er wollte. Der unerträgliche Hass auf Ulrich stritt mit demVerlangen, endlich den Platz einzunehmen, um den er sein Leben lang gekämpft hatte. Der niedrige Raum schien ihn zu erdrücken. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, krampfhaft schlug er sie gegen die Stirn.
Konrad von Haldenberg wartete unbewegt, aber Raoul hörte ihn tief atmen. Er begriff plötzlich, dass diese Begegnung seinen Vater mindestens ebenso viel Mut gekostet haben musste wie ihn selbst. Abrupt blickte er auf. Mit erstickter Stimme flüsterte er: »Ich schwöre es.«
Die Lippen des Alten zitterten. Raoul kam näher. Zögernd kniete er vor ihm nieder, wie es Sitte war. Er spürte Konrads Hand auf seinem Haar, und ein Beben durchlief ihn. Ein warmes, frem des Gefühl überfiel ihn, das er nicht gekannt hatte.
»Der König muss es auf der Burg gestatten«, sagte Konrad von Haldenberg rau. »Aber das hier ist üblich, wenn ein Vater seinen Sohn begrüßt.«
Und er beugte sich über ihn und küsste ihn.
16
Wind fegte durchs Lager, als Raoul eine Stunde später aufgewühlt von der Burg zurückkam. Es hatte zu regnen begonnen. Die letz ten Rüstungen waren in sandgefüllten Fässern gereinigt, die letz ten Bettler und Scharlatane hatten sich ins Trockene verzogen. Nur noch wenige Knechte kochten über den Feuern Fleischsuppe. Zwischen Zelten und Buden hing Nebel und tauchte die Wimpel in eintöniges Grau, ließ Stimmen, Tierlaute und das Klirren der Rüstungen irgendwo aus dem Nichts kommen. Ein Windstoß fuhr durch seinen schwarzen Waffenrock und das dunkle Haar. Er wirkte verändert. Sein Gesicht hatte die Anspannung verloren, und die scharfe Falte um seinen Mund war weicher.
Als er das Fell vor seinem Zelt zurückschlug und hereintrat, er hob sich Anna langsam. Einen Moment fürchtete sie, zwischen ihnen würde sich derselbe Graben auftun wie zwischen ihr und Ulrich. Sie dachte an das, was er ihr in den Bergen einmal gesagt hatte: Wäre die ganze Welt mein, ich würde sie weggeben, wenn die Königin von England in meinen Armen läge . Aber das war ein Lied. Wenn er erst einmal Herr über eine Burg war, würde er seine An sicht vielleicht auch ändern.
Hier im Zelt war das ohnehin dämmrige Tageslicht noch ein mal gedämpfter. Nur das leise Prasseln des Regens auf den ge wachsten Zeltbahnen durchbrach die Stille. Langsam kam er auf sie zu. Er wollte sprechen, aber Anna legte den Finger auf die Lip pen. Sie wollte nichts hören. Die meisten Frauen wussten nicht einmal, wie es war, bei einem Mann zu liegen, den sie liebten. Es zählte nur, dass sie hier waren, zusammen. Ganz gleich ob es das letzte Mal war oder nicht.
Sanftlegte Raoul sie auf sein Lager und strich ihr Haar zurück, das wie ein rotgoldener Schleier darüberfiel. Anna genoss die Wärme seiner Hände auf ihrem Körper. Als er sie einfach nur im mer wieder streichelte und küsste, wusste sie, was ihm das, was sie für ihn getan hatte, bedeutete.
Irgendwann richtete sie sich auf, und er zog sie auf seinen Schoß. Die kleinen Haare auf ihrem Rücken stellten sich auf, als er ihr das Kleid abstreifte und der Stoff über ihre nackte Haut rutschte. Annas Finger glitten über seinen Bart und berührten den Mund. Schwer atmend streiften ihre Lippen über seine. »Mein Geliebter«, flüsterte sie, ehe das Spiel ihrer Leidenschaft von neuem begann.
Zarter feuchter Dunst lag am nächsten Morgen über Kaltenberg. Noch schwieg das Lager zu Füßen des Turnierplatzes in tiefem Schlaf. Einzelne Nebeltropfen schlugen sich glitzernd auf den Zel ten nieder, und die Wimpel hingen schwer von der morgendlichen Feuchtigkeit herab. Über den Schwaden sog die Sonne den Dunst an und färbte den Nebel zart golden.
Das taunasse Gras vor Raouls Zelt am Rand des Lagers war un berührt, nur das Licht fiel sanft herein. Am Boden lagen Klei dungsstücke. Außer dem mit Fellen gepolsterten Strohlager und dem Hocker gab es keine Einrichtung. Eng aneinandergeschmiegt schälten sich die beiden nackten Körper aus dem Halbdunkel. Annas Haar, das im ersten Licht flammend rot aufglühte, floss über Raouls Brust. Das dunstvergoldete Licht warf seinen Schim mer auf ihre helle Haut und die dunklere des Mannes.
Sie schlug die Augen auf und blinzelte. Unter ihrer Wange spürte sie das ruhige, regelmäßige Schlagen seines Herzens. Ein zelne goldene Fäden zitterten über ihren Nasenflügeln. Erster Rauchduft hing in der Luft, aber das Prasseln des Regens hatte aufgehört. Schlaftrunken richtete sie sich
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