Die Gauklerin von Kaltenberg
hast.«
Raoul schwieg. In ihm tobten Gefühle, die er kaum beherrschen konnte, Liebe, Ehrfurcht, aber auch ein verzweifelter Zorn. Kon rad hatte es die ganze Zeit gewusst. Er hatte gewusst, was ihm Kal tenberg bedeutete und warum er in Akkon alles hinter sich gelas sen hatte. Und er hatte geschwiegen.
»Warum habt Ihr mich aus dem Verlies geholt?«, fragte er zu rückhaltend. Sonst hätte er sich geschämt, seinem Vater bei der ersten Begegnung im durchgeschwitzten Untergewand gegen überzutreten. Aber jetzt spürte er es kaum. Keiner von beiden machte Anstalten, sich zu setzen, sie standen einander gegen über und sahen sich an, als könnten sie sich nicht voneinander lösen.
KonradsHände berührten unruhig den beschlagenen Leder gürtel, der sein Ordenshemd hielt. Raoul fiel auf, dass ihre Hände sich ähnelten. Er suchte in ihm den Mann, den ihm seine Mutter beschrieben hatte: die blonden Locken und die schlanke Gestalt. »Auch wenn es vor dem Gesetz nicht so ist«, erwiderte Konrad langsam, »du bist mein Fleisch und Blut.«
»Blutsbande?« Raoul gewann die Gewalt über sich wieder. »Das klingt nach einem zärtlichen Vater. Mein Vater Konrad von Hal denberg«, sagte er übertrieben betont. »Hattet Ihr so viel Barm herzigkeit für Euren verleugneten Bastard?« Er ging einige Schritte unter Maimuns Kräuterbüscheln. Als er sie berührte, verströmten sie einen starken Duft. »Ihr habt mich verraten, noch ehe ich ge boren wurde! Warum?«, schrie er plötzlich. »Warum?«
»Ich muss dir keine Rechenschaft ablegen«, erwiderte Konrad scharf.
Wütend versetzte Raoul dem Faltstuhl einen Tritt. In seinem schweißfeuchten Untergewand fror er auf einmal, und in seiner verletzten Hand pochte es. Er starrte die bleichen Zeltbahnen an, um seinen Vater nicht ansehen zu müssen. Zu gut wusste er, dass Konrad recht hatte. Ein Bastard hatte nichts zu erwarten. Es war schon eine Gnade, wenn er nicht dem rechtlosen Vagantenleben überlassen wurde, sondern einen Beruf lernen durfte. Nur die wenigsten bekamen einen Platz am Tisch ihres Vaters. Trotzdem hatte er immer davon geträumt, dieses Glück zu haben.
»Tausendmal habe ich mir in Akkon diesen Tag vorgestellt«, brachte er rau hervor. Er sah zur Seite, und das schweißverklebte Haar, das ihm ins Gesicht fiel, brannte in seinen Augen. »Ich weiß nicht einmal, wie es ist, von einem Vater geliebt zu werden.«
Verzweifelt blickte er in das gezeichnete Gesicht und suchte seine eigenen Züge darin. Er hätte sein Leben dafür gegeben, mehr von Konrad von Haldenberg zu wissen. Ihn zu lieben und zu hassen, wie es Söhne und Väter eben taten. Vielleicht hatte er über haupt nur deshalb alles darangesetzt, anerkannt zu werden.
»Warumseid Ihr gekommen?«, fragte Raoul.
Konrad beantwortete die Frage nicht, sondern schien völlig in seinen Anblick versunken. Neben dem kräftigen alten Ritter kam sich Raoul schlank und dunkel vor. Wieder dachte er daran, dass er im Moment kein sehr stattliches Bild bot. Fahrig strich er sich über das mit Blut und Schweiß verklebte Gewand und durch die schwarzen Haare.
»Du bist mir sehr ähnlich«, sagte Konrad endlich heiser. »Raoul …« Er unterbrach sich, als er ihn zum ersten Mal beim Namen nannte. »Was immer geschehen ist, du darfst nicht glau ben, ich wäre nicht fähig, dich zu lieben.«
Raoul sah ruckartig auf.
»Aber ich habe einen Mann getötet«, fuhr Konrad fort. »In Ul rich und dir sehe ich die alte Fehde zwischen mir und seinem On kel Winhart von Rohrbach wieder aufflammen.«
Raoul kam einen langsamen Schritt auf seinen Vater zu. »Ihr fürchtet, ich könnte dasselbe tun?«
Konrad antwortete nicht. Schließlich erwiderte er: »Dieses Mädchen … sie sagte, dass Ulrich deine Herkunft bloßgelegt hat.«
Deshalb war er gekommen. Raoul fuhr sich mit beiden Hän den übers Gesicht. Anna!, dachte er. Eine tiefe Wärme durchlief ihn. Am liebsten hätte er sie hier an seiner Seite gewusst.
»Schwöre mir, an meiner Stelle die Fehde zu beenden«, ver langte Konrad. »Stell das Steinkreuz auf zum Zeichen, dass das Blut gesühnt ist.«
Das bedeutete, Ulrich auf dem Turnierplatz zu verschonen. Raoul blickte auf. »Verlangt Ihr nicht zu viel von einem Mann, der nicht einmal ein Wappen trägt?«, bemerkte er.
»Schwöre es!« Die Gestalt im schwarzweißen Ordenshemd war auf einmal unnahbar und streng.
Raoul begann wie ein Verrückter im Zelt auf und ab zu gehen. Sein Vater hatte ihm nie etwas gegeben. Es gab keinen Grund, zu
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