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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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Finger krampften sich um einen Zweig, als einer der Schatten, von einer Armbrust getroffen, zu Boden stürzte. Kinder schrien nach ihren Eltern, in den Ställen brüllte Vieh. Verängstigt blickte sie die Straße hinab zu ihrem Elternhaus. Das feuchte Flechtwerk der Wände schwelte bereits. Eine Flamme leckte am tiefhängenden Strohdach, auf einmal loderte es auf. Funken wurden vom Wind weitergetragen, und alles in ihr zog sich zusammen. Die Bäckerei, die Töpferei, selbst aus den ärmlichen Hütten der Kleinbauern am Dorfrand stieg schwarzer Rauch.
    Einer war vom Pferd gesprungen und riss die Tochter des Ba ders zu Boden. Verzweifelt wehrte sich Mechthild, doch der Mann hielt sie unbarmherzig fest. Rücksichtslos drückte er ihr Gesicht in den Schlamm. Er zerrte an seinen blutverschmierten, zerrissenen Kleidern und riss ihr mitten auf der Straße die Cotte hoch. Anna schlug die Hände vors Gesicht, sah doch wieder hin: Das Jüngste der Waltners lief weinend über die Straße und fiel am Wegrand hin, beinahe wäre es niedergeritten worden. Ein junger Mann wurde mit einem Schwerthieb zur Seite geschleudert. Anna würgte, als sie unter der blutüberströmten Fratze Benedikt erkannte. Er hatte nach Erntedank heiraten wollen.
    Unruhig flackerten die Bilder des Grauens vor ihren Augen. Überall lagen Tote und Tierkadaver, die sie nur noch als dunkle Erhebungen wahrnahm. Der süßliche Geruch nach Blut, der Qualm, alles war auf einmal unwirklich. Während die einen die Frauen schändeten, trieben andere das Vieh weg oder schlugen ihm mit den Schwertern einfach das Genick durch. Schweine liefen in Panik die Straße entlang, ihre kreischenden Laute klangen erschre ckendmenschlich. Blutiger Schlamm und Kot spritzten auf sie, als die Reiter ihre Pferde anhielten. Die Knechte begannen, die ersten Leichen auszuziehen und Kleider und Habseligkeiten an sich zu nehmen. Panik lähmte Anna. Wie durch ein Wunder hatte noch niemand sie bemerkt. Doch das war nur eine Frage der Zeit.
    Das scharfe Knacken von Zweigen riss sie aus ihrer Starre. Die kleinen Haare in ihrem Nacken stellten sich auf. Langsam wandte sie den Kopf.
    Sie sah in ein schweißglänzendes Gesicht mit grau durchsetz tem Bart. Tückische kleine Augen glitten an ihr herab, der flei schige Mund verzog sich zu einem Grinsen und entblößte ver faulte Zahnstümpfe. Der fremde Ritter packte sie und zerrte sie aus ihrem Versteck. Anna hob die Arme. Sie ließ sich fallen, um sich dem Griff zu entwinden, doch er packte sie erneut. Der Mann zog sie zu sich heran, der Geruch nach Wein und Knoblauch schlug ihr entgegen. Verzweifelt versuchte sie sich zu wehren. Warum war sie nur zur Siedlung zurückgelaufen!
    Der Mann stieß sie brutal zu Boden und griff unter seinen Waf fenrock. Panisch warf sie sich herum, schlug und trat nach ihm. Doch alles, was sie damit erreichte, war ein unwilliges Knurren. Er versetzte ihr eine Ohrfeige. Sie betastete den schmerzenden Na cken. Ihre Wange war heiß und schwoll an, sie schmeckte Blut. Der Fremde beugte sich über sie, und sie spuckte ihm ins Gesicht.
    Ein kräftiger Arm hielt ihn fest, jemand schlug ihm einen Stock ins Genick. Der Ritter taumelte.
    »Martin!«, stieß Anna hervor.
    »Lauf!«, schrie er. Anna kam auf die Füße. Sie wollte nach sei ner Hand greifen, doch er schüttelte sie ab. »Verschwinde!«
    Der Ritter hatte die Überraschung überwunden. Er hob das Schwert. Martin sah Anna in die Augen.
    Um nichts in der Welt wollte sie ohne ihn gehen. Aber es lag etwas in seinem Blick, das keinen Widerspruch zuließ. Anna hetzte über die Straße. Das Ochsengespann des Tanners hatte sich losge rissenund hätte sie beinahe überrannt. Panisch donnerte eine Viehherde heran. Über die Körper der Tiere hinweg sah sie, wie Martin auf der anderen Straßenseite seinen Stock hob. Der Ritter grinste breit. Offenbar gefiel ihm der Mut des kräftigen jungen Schmieds. Er wehrte den Schlag mit Leichtigkeit ab und hob den Anderthalbhänder.
    Anna wollte schreien, doch nur ein ersticktes Krächzen kam über ihre kalten Lippen. Sie hörte den dumpfen Aufprall des Schwerts, das knirschende Geräusch, als die Knochen brachen, das gurgelnde Hervorschießen des Blutes. Wie gelähmt starrte sie hinüber. Die breiten Rücken der durchgehenden Rinder waren plötzlich blutig, ließen sie nur bruchstückweise sehen, was gesche hen war: Der Ritter hatte Martin buchstäblich in zwei Teile zer schlagen.
    Anna hörte sich schreien. Brennender Hass überwältigte

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