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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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feinen Burgherrn ge schimpft – wenn er auf der Fronarbeit bestand, obwohl zu Hause genug zu tun war. Nachdem das Dorf niedergebrannt war, hätte Ulrich die Männer ruhig erst ihre eigenen Häuser wieder auf bauen lassen können, dachte sie. Schließlich brauchten die Leute ein Dach über dem Kopf. Wenn der Winter so lang würde wie der letzte, würden auch die eingelagerten Vorräte nicht reichen.
    »Herr Ulrich!«
    Der Küchenjunge kam den Pfad entlanggerannt, der unterhalb der Mauern um die ganze Burg führte. »Schnell!« Keuchend blieb er stehen und hielt sich die Seite. »Der Kaplan, Vater Maurus! Drüben, an der Ostmauer!«
    Ohne zu überlegen, sprang Anna die Böschung hinauf. Die Männer kamen ihr nach, und alle folgten dem Jungen.
    Entsetzt blieb Anna an der Biegung stehen. Der aufgeweichte Boden unter der Mauer hatte nachgegeben. Wo früher der Pfad um die Burg herumgeführt hatte, war nur noch eine Schlamm spur. Tonnenschwere Quader waren herausgebrochen und hat ten Steine und Äste mitgerissen, deren Bruchstellen hell aus dem dunklen Schlamm leuchteten. Ganze Büsche waren gut zwanzig Schritt weit den Abhang herabgeglitten, umgestürzte Bäume, die jederzeit weiter hinabstürzen konnten, lagen kreuz und quer. Und mitten in dem Erdrutsch, aufgehalten von einer felsigen Stelle, lag eine verkrümmte, schwarzgekleidete Gestalt.
    »Aus der Mauer war ein Stein gebrochen. Er wollte sich den Schadenvon unten ansehen«, flüsterte der Junge. Mehrere Männer waren hinter ihnen herangekommen, auch Raoul und sein Diener waren darunter.
    »Holt ihn auf den Pfad!«, befahl Ulrich. Gemeinsam mit den Knechten machte er sich vorsichtig daran, zu dem Gestürzten vor zudringen. Der aufgeweichte Boden gab unter ihnen nach. Ulrich rutschte ab und ruderte mit den Armen. Anna hielt den Atem an. Er hatte einen Baum gepackt und fand sein Gleichgewicht wieder. »Es ist zu gefährlich«, rief er, als er wieder festen Boden erreichte. Schwer atmend wischte er sich den Schlamm von den Beinlingen. »Bleibt zurück und betet für ihn! Wir können nichts mehr für ihn tun.«
    Vater Maurus’ Hand hob sich ein Stück und fiel wieder herab.
    »Er bewegt sich!«, rief Anna erleichtert. Sie dachte daran, wie der Kaplan ihr die Beichte abgenommen hatte. Ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie nicht aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlos sen war wie eine Hure. Niemals würde sie ihn jetzt im Stich lassen. Entschlossen hielt sie sich an einem Baum fest, dessen Wurzeln sich am Rande des Erdrutsches in den Hang klammerten. Dann warf sie den roten Zopf auf den Rücken, um zu dem Verletzten zu gelangen.
    »Anna, bleib hier!«, befahl Ulrich zornig.
    »Aber er lebt!«, schrie sie zurück. »Wir können ihn doch nicht hier sterben lassen!« Auf allen vieren tastete sie sich langsam vor wärts. Sie war leichter als die Männer, der lockere Boden trug sie. Trotz ihrer Vorsicht rutschte sie einmal und griff haltsuchend nach einem bemoosten, glatten Felsbrocken. Ihre knöchellange Cotte war von oben bis unten schlammbespritzt, als sie Vater Maurus endlich erreichte.
    Obwohl sie schon schwere Verletzungen gesehen hatte, zuckte sie zusammen. Der Kaplan hatte seine Kappe verloren. Der eingedrückte Schädel war blutig, und weißliche Knochenspitzen ragten heraus. In seinen Mundwinkeln und auf dem Skapulier klebte säuerlichriechendes Erbrochenes. Aus Nase und Ohren rann eine dünne Spur Blut, vermischt mit einer klaren Flüssigkeit. Um die geschlossenen Augen hatte sich ein dunkler Bluterguss gebildet, er atmete nur flach. Dass er überhaupt noch lebte, war ein Wunder.
    Mühsam bekämpfte Anna die Übelkeit. Ihre Hand schloss sich um die eiskalten Finger. »Lasst mich nicht allein!«, flüsterte sie. Tränen schossen ihr in die Augen, doch sie wusste, dass sie Mau rus mit Tränen allein nicht helfen würde.
    »Er hat das Bewusstsein verloren«, rief sie über die Schulter zu rück. »Sein Schädel ist gebrochen.«
    Ulrich bekreuzigte sich, und seine Männer taten es ihm nach. Sie wussten, was das bedeutete.
    Nur Raoul sah seinen Diener an und nickte ihr zu. »Wir brau chen Träger und ein Brett, um ihn auf die Burg zu bringen.«
    »Er ist so gut wie tot«, erwiderte Ulrich gereizt. »Soll ich noch mehr Leben aufs Spiel setzen?«
    Überrascht von seinem Ton sah sie auf. Es klang, als sei er nicht das erste Mal ungehalten über seinen Gast.
    Ebenso gereizt erwiderte Raoul: »Habt Ihr Angst?«
    Die beiden Männer starrten sich an. Wäre es nicht so absurd

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