Die Gauklerin von Kaltenberg
vom Glauben ab. Aber Stolz und Wollust sind Todsün den, mein Kind!«
Stöhnend ließ sie den Kopf auf die Brust sinken. Er schien es als Eingeständnis ihrer Schuld zu deuten, denn er vollendete: »Wir lehren die Menschen, ihre Triebe zu beherrschen. Begreifst du, was du angerichtet hast? Zügellose Lust oder zügellose Grausam keit – wo ist da der Unterschied?«
Anna sah auf. Wenn es etwas gab, das die alltägliche Grausam keit vergessen ließ, dann war es Musik. Ruhig blickte sie ihm in die Augen. »Ihr lügt!«, sagte sie leise.
Der Kaplan zuckte zusammen und sog schmerzhaft die Luft ein. Offenbar hatte er so etwas noch nie erlebt. Gernot wollte näher kommen, doch er hielt ihn zurück. »Es wäre besser, du würdest ge stehen«, warnte er. Er erhob sich. »Sonst trittst du ohne Absolu tion vor deinen himmlischen Richter!«
Anna hielt dem Blick stand, doch sie zitterte. Ohne Absolution zu sterben – das bedeutete, für immer und ewig in der Hölle zu brennen. »Was soll ich denn gestehen?«
Ein Lächeln zuckte um seine Lippen, er wirkte erleichtert. »Den frommen Herrn Ulrich verhext zu haben, und seine Ge mahlin.«
Anna zögerte. Wenn sie sich der Hexerei schuldig bekannte, würde man sie verbrennen. Aber wenn nicht, würde Gernot sie zum Krüppel schlagen. Sie musste Zeit gewinnen! Ein Krächzen kam aus ihrer Kehle. Gernot ließ ihr keine Zeit, sondern schlug erneut zu.
Annas Kopf wurde zur Seite geschleudert. Ihre Stirn prallte gegen die Wand, der Kaplan rief etwas, aber sie verstand es nicht mehr.Sie lag in einer stinkenden Pfütze, und die Kälte schüttelte sie. Wange und Stirn waren taub, ein rhythmisches Pochen war das Einzige, was sie noch spürte.
Der Knecht kam grinsend näher. Anna bemerkte ihr Blut auf seinen behaarten Unterarmen. Keuchend vor Entsetzen kroch sie vor ihm zurück. Ihre Schultern hoben und senkten sich hastig, trotzdem hatte sie das Gefühl, kaum Luft zu bekommen. In seinem unbarmherzigen Gesicht las sie seine Gedanken. Er würde nicht auf ein Urteil warten, sondern sie zu Tode prügeln. Jetzt.
Schritte näherten sich, sie öffnete die zuschwellenden Lider. Hermann von Rohrbach kam herein. Die äußere Ähnlichkeit mit Ulrich war überwältigend. Doch der brutale Zug um seinen Mund war so anders als bei seinem Sohn, dass sie erschrak. Er kam heran und beugte sich über sie.
»Wie weit habt ihr sie?«
Anna wurde eiskalt. Erst jetzt begriff sie: Ihr Herr selbst hatte sie der Hexerei an geklagt.
Ein Schimmer erhellte die Dumpfheit in ihrem Kopf. Warum sollte Hermann ihren Tod wollen – wenn nicht aus dem Grund, dass sie Ulrich viel mehr bedeutete als eine flüchtige Liebschaft? Eine Hure wäre ihm gleichgültig, aber wenn sie womöglich die einträgliche Verbindung zu Jutha gefährdete, musste sie verschwin den. Ulrich hatte sie nicht aufgegeben, pochte es in ihrem Kopf. Er wusste nicht einmal, wo sie war, vermutlich suchte er sie längst verzweifelt! Sie keuchte vor Schmerz, aber sie lächelte.
»Sie behauptet, sie sei unschuldig«, wandte der Kaplan ein.
Hermann sah mit einer Mischung aus Mitleid und Ekel auf Anna herab. Dann lächelte er schmal. »Gut. Soll sie es beweisen!«
Offenbar hatten sie es wirklich eilig, denn Gernot zerrte Anna ein fach auf die Beine und stieß sie hinaus. Als eine Magd sie in ein wei ßes Hemd kleidete, wusste Anna noch immer nicht, was ihr be vorstand.
»EineWasserprobe.« Die Magd sah sie an, als sei sie schwach sinnig. Sie bemerkte, dass ihre Worte kaum in die Dumpfheit von Annas Schmerzen vordrangen und erklärte: »Sie fesseln dich und werfen dich in den Lech. Wenn du oben schwimmst, bist du schuldig und wirst verbrannt.«
Anna schluckte, um das trockene Gefühl im Mund loszuwer den. Ulrich würde sie suchen, redete sie sich zu. »Ich kann nicht schwimmen!«, murmelte sie. Ihr Gesicht war heiß, eine einzige pochende Schwellung. Jeder Atemzug jagte einen stechenden Schmerz durch Bauch und Lunge. Sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.
Die Magd grinste. »Umso besser für dich. Wenn du untergehst, bist du unschuldig.«
Anna hielt verzweifelt nach Ulrich Ausschau, als man sie einen steilen Pfad von der Burg hinab zum Lech brachte. Wenn es nur einen Weg gegeben hätte, ihn zu benachrichtigen! Es war alles viel zu schnell gegangen. Sie hätte Hermann von Rohrbach um Gnade gebeten, doch ein Blick in sein Gesicht zeigte ihr, dass es zweck los gewesen wäre. Er hatte sie holen lassen, um sie zu beseitigen, er würde sich nicht von
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