Die Gauklerin von Kaltenberg
Tränen und Bitten umstimmen lassen. Sie sah nicht einmal Hass in seinen Augen – für ihn war sie einfach ein lästiges Hindernis, das er aus dem Weg schaffen wollte. Stolpernd und frierend erreichte sie das bewaldete Ufer.
Annas Herz raste wild. Es war kalt, aber die Sonne schien. Am Horizont waren die Berge zu sehen, auf denen der erste Schnee lag. Unter ihr fiel der Hang steil ab. Die Altwassertümpel und die weißen Kiesbänke waren vom Hochwasser überflutet. Der Lech floss schnell und reißend, Schaumkronen im tiefgrünen Wasser verrieten, wo Felsen die Strömung brachen. Hier ertränkt zu wer den war eine Vorstellung, die seltsam unwirklich war. Ich will nicht sterben!, begehrte sie verzweifelt auf. Es darf nicht vorbei sein – nicht jetzt!
DerKaplan fehlte, es war Geistlichen verboten, an Gottesur teilen teilzunehmen. Aber Knechte und Mägde hielten Maulaffen feil und stießen sich neugierig zur Seite. »Sie wird schreien, einen Pfennig darauf!«, hörte Anna jemanden tuscheln. »Wer hält da gegen?«
»Das hätten sie mit dir schon lange machen sollen!«, zischte eine Frau ihrer Nachbarin zu. »Hoffentlich vergeht dir jetzt die Lust, mit meinem Mann zu huren!«
Der Waffenknecht zerrte sie ein Stück weiter nach unten auf einen Vorsprung. Panik ergriff Anna. Verzweifelt begann sie sich zu wehren, doch gegen den kräftigen Mann konnte sie nichts aus richten. Am liebsten hätte sie laut geschrien, aber die Gesichter der Gaffer verrieten, dass niemand ihr helfen würde. Erschöpft sank ihr Kopf auf die Brust. Nur eine einzelne Träne, die ihr über die Wange lief, verriet, dass sie sich mit dem Tod nicht abgefunden hatte. Aber gleich würde es vorbei sein.
Mit einem kratzenden Seil fesselte man sie an Händen und Fü ßen, so dass sie in gekrümmter Haltung am Boden hockte. Der Knecht schob Anna auf den Rand und wickelte sich das andere Ende des Seils um den Unterarm. Sie spürte einen Stoß im Rücken. Dann stürzte sie ins eiskalte Wasser.
Anna wollte schreien, doch die Kälte verschlug ihr den Atem. Irgendwie kämpfte sie sich an die Oberfläche, holte Luft und spürte, wie das Wildwasser über ihr zusammenschlug. Der reißende Fluss hatte sie in Augenblicken davongetragen. Etwas schlug scharfkantig gegen ihre Schenkel, sie wurde nach oben geschleudert. Es gelang ihr, noch einmal zu atmen, dann ging sie wieder unter. Verzweifelt wollte sie um sich schlagen, doch sie konnte die gefesselten Hände nicht bewegen. Das Wasser um sie war weiß von zahllosen Perlen. Ihre Lunge brannte, schrie nach Luft. Anna schluckte Wasser. Sie würgte, rang gleichzeitig nach Atem. Im Todeskampf wurden ihre Bewegungen krampfhaft. Sie schlug erneut gegen einen Felsen, dieses Mal mit dem Kopf.Das Letzte, was sie wahrnahm, war ein schwarzer Fetzen, der vor ihren halbblinden Augen durchs Wasser wehte. Dann war plötzlich alles dunkel.
Zweiter Teil
Sors immanis et inanis Rota tu volubilis , status malus, vana salus , semper dissolubilis . Obumbrata et velat a mihi quoque niteris . Nunc per ludum dorsum nudu m fero tui sceleris .
Schreckliches, hohles Schicksal , wie ein kreisendes Rad . Elend und scheinbares Glück , alles ist vergänglich . Dunkel und verschleiert , kehrst du dich auch gegen mich . Durch dein grausames Spie l Geh ich nun mit nacktem Rücken .
1
Das Kloster der Madonna von Einsiedeln hatte seinen Namen mit Bedacht gewählt. Es lag mitten im Finsteren Wald in den Schwei zer Bergen. Selbst die wenigen Bauern und Ministerialen, die hier lebten, wagten sich nur selten in diese Wildnis. Sie fürchteten, von boshaften Zwergen in die Irre geführt zu werden, und nachts, hieß es, donnerte das unheimliche Wilde Heer über den Himmel, die Geister verstorbener Krieger. Die Pfade hierher verloren sich im Dunkel, und stets lief man Gefahr, an einem plötzlichen Abbruch hinabzustürzen. Selten verrieten Holzstapel im Wald die Nähe von Dörfern. Morgens waren Berge und Seen von eiskaltem Novem berhauch weiß überzogen.
Wölfe heulten und strichen um das Lager des österreichischen Heers unweit der Enklave. Gut zweitausend Ritter und ihr Fuß volk hatten zwischen den jungen Buchen ihre Zelte aufgeschla gen. Irgendwo in der Dunkelheit hörte man streitende Stimmen. Vereinzelte Feuerstellen warfen ihr flackerndes Licht auf die Rit ter und Knappen, wenn sie die steifen Hände rieben und warmes Bier tranken. Schaffelle schützten vor der schlimmsten Kälte, und das Bier tat den Rest.
Ein schönes Aufgebot, um ein paar
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