Die Gauklerin von Kaltenberg
erkennen ließen. Züchtig senkte sie die Lider.
Der Kaplan schnüffelte in seiner Tinte und machte sich eine Notiz. »Du bist also wegen Hexerei hier?«
»Das heißt es. Aber es ist nicht wahr«, wiederholte Anna. Sie hatte Hunger und Durst und wollte so schnell wie möglich wieder am warmen Feuer sitzen. Außerdem erinnerten sie leichte Bauch krämpfe und ein unangenehm feuchtes Gefühl daran, dass sie ihre unreinen Tage hatte und seit Stunden die Tücher nicht hatte wech seln können. »Ich verstehe mich auf keine Kunst, am wenigsten auf die Schwarze.«
Er blickte auf. »Die Schwarze Kunst. Was meinst du damit?«
Wachsam hielt Anna inne. »Ich weiß nicht«, wich sie vorsich tig aus.
Er sah sie scharf an. »Sag die Wahrheit, mein Kind. Wir sind hier, um dir zu helfen.«
»Aber ich sage die Wahrheit!«, schwor Anna. »Wer klagt mich überhaupt an?« Sie unterbrach sich erschrocken. Raoul hatte ihr und Ulrich gedroht. Natürlich – es war der einfachste Weg für ihn. Eine Hure hatte so gut wie keine Rechte, sie würde ihm nicht mehr gefährlich werden. Und wenn er den Burgherrn wegen einer Lieb schaftmit einer Hexe vor Gericht brachte, konnte er Kaltenberg in seine Gewalt bringen. Sie bemerkte die Blicke der Männer: Ihre Cotte war am Halssaum eingerissen und über die Schulter gerutscht. Hastig bedeckte sie sich, aber die Kälte drang durch den leichten Stoff und schüttelte sie. Sie durfte auf keinen Fall zugeben, was zwischen ihnen war. Zum ersten Mal brauchte Ulrich ihren Schutz.
Der Kaplan nickte Gernot zu. Grinsend schlug dieser einen stockähnlichen Gegenstand in die Hand. Der Ochsenziemer, dachte Anna beunruhigt. Er benutzte ihn sonst, um das Vieh zu schlagen.
»Sie hat mit dem Burgherrn Unzucht getrieben«, beschuldigte Gernot sie. »Mit ihren Hexenkünsten hat sie Herrn Ulrich ver führt. Ihretwegen hat er den Schmied hinausgeworfen, dem sie versprochen war. Sie hat ihm die Sinne umnebelt, mit einem ket zerischen Lied. Und aus Eifersucht auf die Burgherrin hat sie Frau Jutha nach dem Leben getrachtet, ebenfalls mit Hexerei.«
»Das ist eine Lüge!«, schrie Anna.
Abfällig sah der Kaplan an ihr herab. »Es wäre besser für dich zu gestehen.«
»Aber die Burgherrin ist bei bester Gesundheit!« Der Vorwurf war so absurd, dass Anna trocken auflachte. »Was sie ja wohl nicht wäre, wenn ich sie verhext hätte.«
»Das ist sie nicht!«, schrie Gernot triumphierend. Das zu ckende Licht des Spans glänzte auf seiner Haut, als er sich an den Kaplan wandte. »Frau Jutha ist gestern Nacht niedergekommen, Monate zu früh. Mit einem toten Kind.«
Anna starrte ihn an. Sie bekam Angst und bemühte sich, ihre Gedanken zu ordnen. Wenn man ihr die Schuld an Juthas Fehl geburt gab, klagte man sie eines entsetzlichen Verbrechens an. »Ich schwöre bei Gott, dass ich ihr nie etwas Böses gewünscht habe!«, schrie sie verzweifelt. »Ich verstehe nichts von Magie und Ketzerei.«
DasPriesterantlitz verlor mit einem Schlag die Milde. »Du Hexe, willst du uns zum Narren halten? Du hast deine ketzerische Gesinnung doch schon mit dem Lied bewiesen. Offen, vor aller Augen und Ohren!«
»Welches Lied?«, fragte Anna überrascht. Sie erinnerte sich an gestern Abend. Verwirrt schüttelte sie den Kopf. »Ich habe es ein fach nachgesungen, ich kann doch nicht einmal Latein. Es war ein Gauklerlied, keine Ketzerei.«
Gernot versetzte ihr einen Tritt. »Überlass es gefälligst dem Herrn Kaplan, zu beurteilen, was ketzerisch ist!«
Anna blieb die Luft weg, sie krümmte sich. Er hatte sie in den Bauch getroffen, und ein schneidender Schmerz lief durch ihren Körper. Sie musste sich auf dem kalten schleimigen Boden ab stützen.
Gernot versetzte ihr noch eine Ohrfeige, dann zog er sie wie der auf die Beine und brachte dabei sein Gesicht dicht an ihres. »Hast wohl geglaubt, du bist zu gut für die einfachen Knechte?«, zischte er so leise, dass es der Kaplan nicht verstehen konnte. »Da siehst du mal, wie schnell sich das ändern kann!«
Mühsam fand Anna ihr Gleichgewicht wieder. Ihre Beine tru gen sie wieder, aber sie konnte sich kaum aufrecht halten.
»Gibst du zu, das Lied …« Der Kaplan suchte ungerührt in sei nen Blättern, » Estuans interius … gesungen zu haben?«
Anna fragte sich, ob sie überhaupt das Recht hatten, sie wegen Ketzerei zu verhören. Sie versuchte zu antworten, doch sie brachte nur ein Röcheln heraus.
»Weißt du nicht, dass dieses Lied eine Verhöhnung der Beichte ist? Also«, sagte er so
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