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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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leise, dass es sie fast noch mehr erschreckte, als wenn er sie angeschrien hätte, »hast du es gesungen?«
    Anna blickte verängstigt zu ihm auf. »Ja«, flüsterte sie. Sie wischte sich das Blut ab, das über ihre Lippen floss. »Aber ich wusste nicht, dass ich damit etwas Unrechtes …«
    Gernot trat erneut zu, und Anna rang nach Luft. Glühende Punktetanzten vor ihren Augen. Ihre Knie schlugen hart auf dem Steinboden auf, sie stürzte. Unwillkürlich zog sie die Beine an. Ein süßlicher Geschmack lag auf ihrer Zunge. Die aufgelösten Haare klebten ihr im Gesicht, und mit jedem keuchenden Atemzug sog sie sie in den Mund.
    »Beantworte die Fragen, die dir gestellt werden, sonst nichts!«, befahl der Kaplan kalt. »Hast du den Burgherrn verführt?«
    Sie schüttelte stöhnend den Kopf. Es war auch nicht nötig ge wesen.
    »Hast du einen Inkubus, der dich die Verführung gelehrt hat?«
    »Einen was?«
    »Einen Dämon, dem du dich hingibst?«
    Verständnislos starrte Anna ihn unter dem wirren Haar an.
    »Sie kommen des Nachts. Sie sind lüstern wie Böcke und scheuen sich nicht einmal vor den unreinen Tagen. Sie machen das Weib begierig nach der widernatürlichen Vereinigung: ohne die Absicht zu zeugen, wie eine wollüstige Sau.« Die Stimme des Kaplans überschlug sich. Auf einmal hatte sie das Gefühl, dass es nicht mehr nur Abscheu war, mit der sein Blick über ihre nackte Schulter glitt. Die Stimme wurde härter. »Welche Zauber hast du außer dem Lied verwendet?«
    Anna kam langsam auf alle viere, dann setzte sie sich auf die Un terschenkel. Sie hatte kaum noch die Kraft, den Stoff wieder über die Beine zu ziehen, aber Trotz kam in ihr auf. »Vielleicht gibt es Frauen, die einen Mann erst verhexen müssen, damit er sie will«, erwiderte sie. »Aber wenn ich in Ulrich eine fleischliche Begierde hätte wecken wollen, hätte ich dazu sicher keine Magie gebraucht!«
    Ein neuer Tritt ließ sie nach vorn auf den Steinboden stürzen. Der Ochsenziemer zischte und traf ihre Schulter und ihren Kopf. Halb bewusstlos blieb sie liegen. Sie würgte, doch sie konnte nicht einmal die Hand heben. Ein säuerlicher Geruch stieg ihr in die Nase, sie spürte etwas Warmes über ihre Lippen rinnen. Unter ihr war der Boden feucht und stank. Verschwommen nahm sie die Schrittewahr, als der Knecht sich näherte. Er hielt ihr den Ochsenziemer so dicht vors Gesicht, dass sie ihr eigenes Blut riechen konnte. »Weißt du, woraus das gemacht ist?«, fuhr er sie an. »Aus dem Geschlechtsteil des Bullen. Wenn er geschlachtet wird, nimmt man die Haut, dreht sie ein und trocknet sie. Du ahnst nicht, was man damit alles anfangen kann!«
    »Ulrich wird dich bestrafen, wenn er das hier erfährt«, keuchte sie.
    Gernot grinste. »Aber Ulrich ist nicht hier, oder?«
    Anna wurde eiskalt. Der gedrechselte Pflock vor ihrem Gesicht wippte elastisch. Dunkle Flecken klebten daran, ein rotes Haar hatte sich darin verfangen. Die kräftigen Hände schlossen sich fester um den Ochsenziemer und drehten sich leicht. Sie begriff plötzlich: Selbst wenn Ulrich käme, würde er sie nicht mehr le bend vorfinden.
    Der Kaplan winkte ihn zur Seite. Wider Willen war Anna dank bar dafür. Seine Stimme wurde freundlicher, und ohne es zu wol len, hielt sie sich daran fest. »Ich lasse dir ungern Schmerz zufügen, mein Kind«, sagte er. »Aber der Teufel sucht sich als Einfallstor gern das leichtgläubige Weib.« Er half ihr, sich aufzurichten. Sein Tonfall war jetzt begütigend. »Du hast selbst noch nicht einmal begriffen, welches Unheil du angerichtet hast. Der Teufel kommt immer im harmlosen Gewand daher. Musik ist der erste Schritt zur Wollust.«
    Annas Nacken pochte und glühte. Sie hatte das Gefühl, jeder Knochen in ihrem Leib sei gebrochen. Der Schmerz war so stark, dass er ihr den Atem nahm. Auf einmal war sie sich ihrer selbst nicht mehr sicher.
    »Musik verführt zur Zügellosigkeit«, fuhr er fort. Seine Stimme steigerte sich nun zu immer größerer Abscheu. »Sie entfesselt ein schändliches Treiben von Tanz und Hitze. Menschen verlieren ihre Würde, wenn sie wegen des Zerrens an toten Tierdärmen in Schweiß ausbrechen. Sie werden zu Sklaven ihrer Sinne.«
    Benommenschüttelte Anna den Kopf. Was sie empfunden hatte, als sie sang, war kein Verbrechen gewesen.
    »Du glaubst, mit Musik könnte man trösten?« Der Kaplan schien ihre Gedanken lesen zu können. »Das ist trügerisch, es ist nichts als ein Reiz der Sinne. Mit ihrem Gaukelspiel lenken die Spielleute

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