Die Gauklerin von Kaltenberg
ihre Gedanken zu er raten. Er hängte das blutige Fleisch über einen Ast und wusch sich die Hände unter der Wasserkanne, die Maimun für ihn hielt.
»Ludwig hat dann seinen Bruder bei Wolfratshausen belagert. Aber bis er die Burg eingenommen hatte, war der Vogel schon ausgeflogen«, fuhr der Fraß fort. Er hatte sich nachgeschenkt und leerte auch den zweiten Becher. »Ende des Jahres soll der Wittels bacher in Landsberg sein. Wenn Ihr klug seid, wartet Ihr bis dann. Hermann von Rohrbach ist in seinem Gefolge – wenn er wirklich hier war, dann nur kurz. Er hat vielleicht keine Lust, die Frucht einer kurzen Liebschaft als seinen Sohn anzuerkennen. Aber Lud wig braucht Ritter für sein Heer, und wenn es ihn nur einen Fe derstrich kostet, umso besser. Ich werde mich in Zukunft auf den Schlachtfeldern vor Euch in Acht nehmen.« Er lachte dröhnend.
»Ich bete, dass er es tut«, stieß Raoul zwischen den Zähnen hervor. Ein kaltes Feuer loderte in seinen Augen. »Nichts und niemand wird mich hindern, mein Erbe anzutreten. Wenn ich müsste, würde ich in Kaltenberg keinen Stein auf dem andern las sen.«
Anna lief es eiskalt über den Rücken. Dann schlug ihre Angst in offene Wut um. Wie hatte sie auch nur einen Augenblick lang zweifeln können, dass er ein gewissenloser Verbrecher war! Sie raffte ihre Kleider und sprang auf. Raoul kam ihr nach und hielt sie fest. Eine beherrschte Wut lag in seiner Bewegung, die etwas von einem Raubtier hatte. Eine Bö fegte ihr Haare und Blätter ins Gesicht. »Man sollte Euch erschlagen wie einen reißenden Wolf!«, stieß sie hervor.
Raoulzischte etwas, um sie zum Schweigen zu bringen, doch Anna konnte sich nicht mehr zurückhalten. Ungehemmt brach sich ihr Hass Bahn. »Wolltet Ihr Euch mit diesem Abschaum um den Verstand trinken, ehe Ihr mich tötet?«, schrie sie ihn an.
Heinrich von Wolfsberg riss das Schwert hoch. Der Met triefte von seinen Lippen, und die geröteten Augen stierten sie hass erfüllt an. Maimun griff nach seinem Arm und zwang ihn, sich wie der zu setzen.
Anna kümmerte sich nicht darum. Wahrscheinlich konnte man sie bis nach Kaltenberg hören, aber sie hatte nichts mehr zu ver lieren. »Und ich war noch dankbar, dass Ihr mich aus dem Lech gerettet habt!«
Raoul stieß einen Fluch in seiner fremden Sprache aus. »Ich be komme Lust, dich wieder hineinzuwerfen!«, erwiderte er heftig. Er sah an ihren mit Erde verschmierten Kleidern herab: »Schaden würde dir ein Bad ohnehin nicht!« Wütend bohrten sich Annas Augen in seinen muskulösen Rücken, als er zum Feuer ging. Sie hasste ihn mehr denn je.
Raoul fand seine Beherrschung schnell wieder, doch die dunklen Blicke, die Anna immer wieder trafen, verrieten, dass seine Ruhe nur äußerlich war. Der Fraß wartete sichtlich nur auf einen güns tigen Moment, ihr die Kehle durchzuschneiden. Und wenn Raoul ihn nicht hinderte, dann nur deshalb, weil sie für ihn lebend mehr wert war – vielleicht sogar als Faustpfand gegen Ulrich. Annas Puls raste, sie wusste, dass sie drei Männern niemals entkommen konnte. Aber Raoul selbst hatte sie auf einen Gedanken gebracht. Sie war tete einige Zeit, dann stand sie auf.
»Ist es in Eurem Land üblich, die Frauen nicht einmal bei ihrer Notdurft in Ruhe zu lassen?«, kam sie seiner misstrauischen Frage zuvor. Doch kaum war sie hinter den Zweigen verschwunden, lief sie zu den Pferden. Die Tiere schnaubten unruhig. Maimuns Satteltasche lag noch da, wo er sie vorher abgelegt hatte. Fahrig suchtesie darin nach dem Opium. Raoul hatte gesagt, es betäube, doch sie hatte keine Vorstellung, wie viel sie brauchen würde. Unschlüssig wog sie einen der schwarzen Klumpen in der Hand und warf einen raschen Blick unter dem Bauch des Pferdes zum Feuer. Die drei Männer redeten in heftigem Ton durcheinander. Entschlossen brach Anna ein großes Stück ab. Es gelang ihr, das zerkleinerte Kraut unbemerkt in die Schüssel mit der Abendsuppe zu mischen. Keiner der Männer schöpfte Verdacht, als sie das Essen verächtlich von sich wegschob. Erleichtert bemerkte sie, dass alle noch zusätzlich Opiumwein tranken.
Es dauerte eine Weile, bis die Gespräche verstummten. Hein rich von Wolfsberg stierte aus glasigen Augen vor sich hin, ein Grin sen lag auf seinem grausamen Mund. Maimun schnarchte leise, und Raoul lag reglos an seinem Platz. Nicht einmal sein Atem war zu hören. Anna kämpfte gegen ein schlechtes Gewissen. Was, wenn sie ihn umgebracht hatte? Sie schob die Bedenken von sich, raffte das
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