Die Gauklerin von Kaltenberg
Gauklerin.« Sie legte ihr die Hand auf die Schulter und ging, um das Fleisch aufs Feuer zu legen.
»Ichbin keine Gauklerin«, flüsterte Anna. »Und in München werde ich Ulrich wiedersehen!«
Nur wenige Tage später erreichten sie die Isar. Am gegenüber liegenden Isarufer zogen sich Krautäcker die Hügel hinauf, ver einzelte befestigte Bauernhöfe waren zu erkennen. »Endlich!«, seufzte Falconet, als sie an dem Palisadenzaun entlanggingen, hin ter dem die Türme und spitzen Dächer der Stadt zu sehen waren. Das Tor war aus Holz, doch Arbeiter, die schwere Quader schlepp ten, verrieten, dass hier die Stadtmauer erweitert wurde. Körbeweise wurden Ziegel und Isarkiesel gebracht, offenbar wollte man die letzten schönen Tage nutzen. Die Vorarbeiter brüllten Befehle, Staub hing in der Luft, krachend fiel ein Steinquader vom Karren.
»Das neue Isartor«, erklärte Falconet, als sie an den grimmig dreinblickenden Waffenknechten vorbeigingen. Dahinter war eine freie Fläche, ehe die Vorstadt begann. »Hier darf nichts gebaut werden«, erklärte er, sichtlich stolz, dass er sich in dem beängsti genden Getümmel zurechtfand. »Falls die Stadt belagert wird, könnte ein Brand durch Wurfgeschosse ausbrechen. Das da ist eines der neuen Zeughäuser.«
Anna riss Mund und Augen auf, als sie sich durch die Straßen drängten. Noch nie war sie in einer Stadt gewesen. Es war eng und brechend voll. Unter den hölzernen Vordächern der niedrigen Häuser stapelten Männer Holz und Fässer. Dem Laugengeruch nach zu urteilen, lebten hier vor allem Gerber und Lederer. Aber auch die Düfte nach Qualm, Kraut und der offenen Gosse misch ten sich hinein, und irgendwo musste eine Schlachtbank sein. Es fiel Anna schwer, sich inmitten der verwirrenden Gerüche zu rechtzufinden. Eva zog sie plötzlich zu sich heran – über ihnen kippte eine Frau den Inhalt eines Nachttopfs auf die Straße.
Sie hatten schon vorher ausgemacht, dass die Frauen ein paar Kleinigkeiten verkaufen sollten. Eva hielt nach einem geeigneten Platz Ausschau und fand ihn nicht weit von einer niedrigen Brücke. Die tief herabgezogenen Dächer schützten sie ein wenig vor Blicken,vermutlich, damit die Büttel sie nicht gleich sehen würden. Am liebsten hätte sich Anna in Luft aufgelöst. Doch zu spät:
»Bärenhaar«, pries Eva die Ware in ihrer Bauchlade an. »Ein gutes Amulett, um ein Kind vor bösen Geistern zu schützen. Und hier …« Sie zauberte eine kleine Kassette heraus. »Ein Fingerkno chen des heiligen Blasius, auch sehr gut gegen Halskatarrh.«
Eine Alte war stehen geblieben. »Der Knochen ist ein wenig klein.«
»Es ist ein Knochen von Blasius als Kind«, erklärte Eva beflis sen. »Aber wenn es Euch zu teuer ist, habe ich hier auch noch Asche aus der Zunge eines Gehenkten. Gut gegen Dämonen aller Art.«
Die Alte entschied sich für die Reliquie. Während sie zahlte, warf Anna der Freundin einen misstrauischen Blick zu. Ihres Wis sens war der heilige Blasius in biblischem Alter als Bischof gestor ben. Unruhig trat sie von einem Bein aufs andere. Sie liebte die Musik und die Geschichten der Gaukler, aber mit diesen Betrü gereien wollte sie nichts zu tun haben.
Eva wartete, bis die Frau hinter zwei teuer gekleideten Bürgern verschwunden war, dann grinste sie. »Also gut. Das Bärenhaar stammt von einem Gaul, die Asche ist aus dem Feuer, an dem wir uns gestern Abend gewärmt haben. Und die Reliquie … Du erin nerst dich an die Gans, die wir kürzlich … Hier«, sagte sie schnell, »versuch du dein Glück: Das ist eine Salbe, um verlorene Jung fernschaft wiederherzustellen. Schau dir die Mädchen an: Die da drüben, die läuft selbstsicher und grinst. Bei der kannst du nicht landen. Aber die da, die den Kopf einzieht.«
Erschrocken schüttelte Anna den Kopf.
»Komm schon«, flüsterte Eva. »Die Kirche jagt lieber Ketzerfürsten. Da ist mehr zu holen als bei zwei Straßenkatzen wie uns. Die Leute wollen es glauben, warum sollen wir nicht auch etwas davon haben?«
Anna steckte die Salbe ein, aber sie hatte nicht die geringste Lust,sie zu verkaufen. Ihr Blick flog die Straße entlang, die weiter vorn über einen Steg führte. Ein Holzwagen, von zwei riesigen Ochsen gezogen, schwankte darüber und auf ein zweites Tor zu, offenbar das alte Stadttor. Dort verschwand ein blonder Mann unter dem vorspringenden Dach einer Bude. Ulrich.
Ohne sich um Eva zu kümmern, rannte Anna ihm nach. Rück sichtslos drängte sie sich an keifenden Marktweibern
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