Die Gauklerin
nämlich hat der Friedländer ganz überraschend unsere Festung angegriffen. Ich war eben dabei, einen Verletzten von der Stadtmauer zu holen, als ich unter mir, keinen Steinwurf entfernt, einen versprengten Reiter erblickte. Er sah ebenfalls zu mir herauf, die Pistole im Anschlag: Es war Matthes. Ich schrie wieder und wieder: Matthes! Er muss mich erkannt haben, denn seine Augen waren vor Entsetzen aufgerissen. Dann warf er sein Pferd herum und galoppierte davon.
Was gäbe ich darum, ihm von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Würde ihm ins Gewissen reden, bis er aus seiner Verbohrtheit herausfindet. Oder noch besser: Ihm gleich eine tüchtige Tracht Prügel anschmieren.
Matthes legte zwei Scheite Feuerholz nach. So langsam wich die feuchte Kälte aus der dreckigen, leergeräumten Kammer. Wenigstens hatten die letzten Plünderer nicht den Ofen zerschlagen. Er sah aus dem Fenster. Die Dächer und Gassen waren weiß, vor der Bartholomäuskirche spielten ein paar Kinder. Vollkommen friedlich sah das böhmische Pilsen unter der Schneedecke aus.
Dabei war der Krieg längst aus dem Ruder geraten. Das protestantische Deutschland stand in Waffen an Schwedens Seite, mit unerschrockenen Feldherren wie Bernhard von Weimar oder Hans-Georg von Arnim. Die Bauern waren allerorten in Aufruhr, die Bürger verschanzten sich in ihren Städten, Hunger und Pestilenz griffen um sich. An den deutschen Grenzgebieten imWesten und Süden zerrten die Franzosen, im Osten waren die Türken und der Fürst von Siebenbürgen auf dem Sprung. In Oberschwaben und Bayern hatten die Bauern in Massen ihre Felder und Höfe im Stich gelassen und waren in die unzugänglichen Berge Tirols oder des Schwarzwalds geflüchtet, während die schwedisch gesinnten Württemberger ihre Klöster mit blanker Gewalt zurückholten. Je flehentlicher nach Frieden gerufen wurde, desto höher loderten allerorten die Flammen der Kriegsbrände.
Matthes musterte besorgt seinen Rossknecht, der sich neben dem Ofen unter einer Decke zusammengerollt hatte und hin und wieder aufstöhnte. Trotz der Hitze des Feuers schien er zu frieren. Matthes kauerte sich neben ihn und starrte in die Flammen.
Ja, er war wieder mitten dabei, seit bald zwei Jahren nun schon. Hatte an vorderster Front gekämpft, dicht an Wallensteins Seite, der trotz seiner Gebrechen den Zweikampf in der Schlacht nicht scheute. Hatte mit dessen Regiment die eitlen, herausgeputzten Sachsen mit ihren leuchtenden Halskrausen aus Prag gejagt, hatte vor Nürnberg einen Sommer lang den Schwedenkönig belagert, Wälle, Gräben und Redouten gebaut, bis er vor Erschöpfung umgefallen war. Dann der Feldzug nach Sachsen: Zerstreuung der Regimenter auf der Suche nach Winterquartieren, das Hauptquartier in der Ebene von Lützen, nicht weit von Leipzig. Der Schwedenkönig war näher gerückt, mit seinem Verbündeten Bernhard von Weimar. Was dann ausbrach auf den morastigen Wiesen, in Rauch und Nebel bis in finsterste Nacht, war kein Gefecht gewesen; das war ein gegenseitiges Abschlachten. In diesem Hauen und Stechen, diesem Blutrausch ohne Sieg oder Niederlage hatte er, Matthes, den Schwedenkönig sterben sehen.
Abgedrängt von seinem Regiment, zwischen Leichen, herrenlosen Pferden und brüllenden Schwerverletzten hatte er den kräftigen Reiter entdeckt, auf einem nussbraunen Hengst, der scheute und durchging. Weißer Filzhut mit grüner Feder, gelbesLederkoller unter dem Mantel, der Bart rotblond, die kurzsichtigen Augen zusammengekniffen. Kein Zweifel, das war der Schwedenkönig höchstselbst. Sein linker Arm, blutgetränkt, hing leblos herab; vergeblich suchte der König sein Pferd in Gewalt zu bringen und raste dann mitten hinein in den Schwarm kaiserlicher Kürassiere. Aus nächster Nähe schossen die ihn in Kopf und Rücken, Blut strömte über das braune Fell des Hengstes, der sich noch einmal aufbäumte und seine Last zu Boden warf. Des Königs Page, so jung noch, warf sich schützend über ihn, andere Söldner stürzten herbei, zerstachen den Knaben mit ihren Dolchen, als wollten sie ihn in Stücke hauen, entrissen dem König Hut, Kleider und Stiefel, erbeuteten sein Schwert und die goldene Kette mit dem Türkis, dazwischen immer wieder Dolchstöße in den sterbenden königlichen Leib, bis sie von Schüssen auseinandergetrieben wurden. Nackt und blutüberströmt lag der Löwe aus Mitternacht auf der kalten Erde. Für ihn war der Krieg zum Ende gekommen.
Matthes lehnte sich an die warme Ofenwand und schloss die
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