Die Gauklerin
Augen. Über ein Jahr lag das Gemetzel von Lützen nun zurück. Was dann folgte, erschien ihm nicht besser und nicht schlimmer: Endlose, untätige Monate im Prager Winterquartier, wohin sich Wallenstein, krank und erschöpft, mit seinem Regiment nach der Schlacht zurückgezogen hatte. Trotz der Glückwünsche des Kaisers, der dröhnenden Siegesglocken in Wien schien er ein gebrochener Mann, abgemagert, verbraucht, am ganzen Körper leidend. Das Fleisch der offenen Beine eiterte und faulte, von der Gicht waren die Hände verkrümmt, Herzrasen und Muskelkrämpfe quälten ihn. An manchen Tagen spielte sein wachsgelbes Gesicht ins Schwärzliche, und er verbarg es hinter einem seidenen Tuch. Dann wieder litt er am Schiefer, an Melancholie, verweigerte selbst Gesandten des Kaisers die Audienz und überließ seinem Feldmarschall, dem einäugigen Grobian und Branntweinsäufer Holk, das Geschäft.
Er, Matthes, hatte die Monate in Prag mit Würfelspiel, Dirnen und Saufgelagen totgeschlagen, bis im Mai der Friedländer endlich sein Heer erneuert hatte und halbwegs wieder zum Leben erwacht war. Für Matthes hatte der angekündigte Aufbruch eine freudige Überraschung parat gehalten: Batista de Parada stieß mit seiner Kompanie zu ihnen. Er war mit einer Frau gekommen, einer tatkräftigen Blonden namens Dorothea, die samt ihrem gemeinsamen Kind im Tross mitfuhr und nun erneut guter Hoffnung war. Rührung hatte ihn überwältigt, als ihn der gedrungene, dunkle Mann für einen kurzen Moment in die Arme schloss, mehr noch: Zum ersten Mal seit seinem Wiedersehen mit Agnes so etwas wie Glück. Da war ihm die Einsamkeit bewusst geworden, in der er seit Jahren versponnen war wie die Raupe im Kokon.
Mit fünfunddreißigtausend Mann war es nach Schlesien gegangen, gegen die protestantischen Sachsen. Doch statt zu kämpfen, hatte der Generalissimus mit Arnim verhandelt, Wochen über Wochen, währenddessen sich die Offiziere beider Seiten gegenseitig zu ausschweifenden Festbanketten einluden und gleichzeitig Oxenstiernas schwedische Völker, in Allianz mit Frankreich, in den südlichen Landen mordeten und brandschatzten. Sie waren auch in Oberschwaben, das wusste Matthes, und so manche Nacht schreckte er aus bösem Traum, hatte Angst um seine Mutter und begann zu weinen wie ein dummes Kind.
Matthes hatte längst aufgegeben zu verstehen, wer in diesem maß- und endlosen Krieg mit wem paktierte und konspirierte, nach welchen Gesetzen Bündnisse und Fronten entstanden und wieder zerbrachen. Was ihn an Wallensteins Seite hielt, was ihn dazu gebracht hatte, wieder mit ihm in den Krieg zu ziehen, war der unerschütterliche Glaube, dass dieser Mann als Einziger nicht von Eigennutz und Habgier geblendet war, sondern mit dem Blick des Adlers aus luftiger Höhe das Ganze überschaute. Matthes war überzeugt, dass das Römische Reich nur mit HilfeWallensteins den Verheerungen und Wirrnissen entkommen und zu dauerhaftem Frieden finden konnte. Und er ahnte: Genau darum war es in den geheimen Unterredungen mit Arnim gegangen.
So war in Schlesien wiederum ein Monat nach dem anderen vergangen, ohne Herausforderung, ohne Aufgaben, die Ödnis unterbrochen nur von einem einzigen halbherzigen und damit misslungenen Angriff auf die Festung Schweidnitz. Wiederum hatte Matthes den Eindruck, dass der Generalissimus müde war, dass er nur kämpfte, wenn es denn unumgänglich war.
Im Herbst dann der Rückzug aus Schlesien, in quälend langsamem Marsch, der hinfällige Generalissimus in seiner rotgoldenen Sänfte, bis sie vor zwei Wochen nach etlichen Umwegen endlich Pilsen erreicht hatten, erschöpft und ausgehungert. Quer durch Wälder und Gebirge waren sie marschiert, mit notdürftigen Quartieren im Wald, auf freiem Feld oder in verlassenen Weilern, auch die Nacht hindurch, wenn es das Mondlicht erlaubte, mit Wasser, verschimmeltem Brot und Biersuppe als einzigem Proviant. Statt gegen den Feind kämpften sie gegen Erschöpfung, Hunger und Krankheit, der einzige Triumph war der angesichts eines trockenen Schlafplatzes oder eines Stücks frischen Brotes. Als sie schließlich hier in Pilsen ankamen, hatte sein Reiterbube hohes Fieber.
Zwei Zeitungen hatten sie auf ihrem Rückweg nach Böhmen erreicht: Zunächst der große Erfolg der Kaiserlichen, die sich in Oberschwaben mit den Spaniern vereinigt und erst Ravensburg, dann Konstanz und die Festung Breisach am Oberrhein von den schwedischen Eindringlingen befreit hatten. Die Spanier, so hieß es, hatten auf
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