Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
Vom Netzwerk:
Der Bub komme in das Alter, wo die Jungen alles besser zu wissen glauben als die Alten, das sei der Lauf der Dinge und gehe vorüber. Irgendwann war sie mit ihrer Mutter darüber richtiggehend in Streit geraten, hatte ihr vorgeworfen, dass sie mit ihren eigenen Kindern niemals so nachsichtig gewesen sei, sonst wäre sie schließlich nicht eines Tages Hals über Kopf davon. Da war Marthe-Marie in Tränen ausgebrochen, und Agnes hatte sich wegen ihrer bösen Zunge bittere Vorwürfe gemacht und ihre Mutter um Verzeihung gebeten. Doch mit David durfte das so nicht weitergehen. Immer häufiger dachte sie, dem Jungen fehle die strenge Hand eines Vaters. Und genau das traf ihren wunden Punkt.
    Erst heute Morgen wieder hatte er sich mit ihr angelegt, sich erst geweigert, seine Milchsuppe zu essen und dann seinen Schulbeutel zu Boden geschleudert. Mit geballten Fäusten hatte er sie angeschrien:
    «Ihr behandelt mich wie ein kleines Kind! Ich weiß genau, dass ihr mir etwas verheimlicht. Warum schreibt mein Vater uns nie? Warum habe ich nie etwas von ihm gehört? Gebt doch zu, dass er gefallen ist.»
    Dann war er hinausgestürmt.
    Jetzt wartete sie auf seine Rückkehr. Sie wollte ihm die Wahrheit sagen.
    «Ich gehe David ein paar Schritte entgegen», sagte sie und nahm ihren Umhang vom Haken. «Warte nicht auf uns mit dem Mittagessen.»
    Die Sonne schien ihr warm ins Gesicht, als sie den Weg in Richtung Schulgasse einschlug. Auf dem Marktplatz tobten ihr ein paar Knaben entgegen, dann entdeckte sie David, der abseits für sich ging, die Mundwinkel mürrisch nach unten gezogen.
    «Holst du mich jetzt auch ab wie ein kleines Kind?», fragte er, als er sie bemerkte.
    «Nein, ich möchte mit dir reden. Setzen wir uns an den Brunnenrand.»
    Die Marktleute rundum bauten ihre Stände ab, es stank nach Fisch und Gemüseabfällen. Agnes gab sich einen Ruck.
    «Du bist jetzt zwölf Jahre alt, groß genug, um die Wahrheit zu wissen. Dein Vater ist weder gefallen noch ist er Soldat oder Offizier.»
    David starrte sie an.
    «Sag nicht, dass er ein Gaukler ist.»
    Jetzt war es Agnes, die erstaunt die Augen aufriss. «Woher weißt du das?»
    David starrte zu Boden. «Deshalb also nennen dich die Leute manchmal die Gauklerin.»
    «Wer nennt mich so?»
    «Ein paar Mägde in der Küche. Aber nur, wenn sie meinen, ich höre es nicht. Und ich dachte immer, es sei wegen meiner Ahn.»
    «David.» Sie wollte seine Hand nehmen, doch er versteckte sie trotzig hinter dem Rücken. «Dein Vater war ein fahrender Sänger und Lautenspieler. Ihn hat es nicht gehalten in Stuttgart, irgendwann ist er mit den Soldaten im Tross mitgezogen. Er wollte wiederkommen, rechtzeitig zu deiner Geburt, doch dann wurde erschwer verletzt und ist fortgeblieben. Ich glaube, aus Scham traut er sich nicht mehr zurück.»
    «Und daran tut er recht.» David sprang auf. «So einen gottverdammten Vater brauche ich nicht.»
    «David!»
    «Vielen Dank, dass du mir die Wahrheit gesagt hast. Jetzt weiß ich wenigstens, dass ich keinen Vater habe.»
    Er warf sich seinen Schulbeutel über die Schulter und rannte los. Agnes sah ihm nach. Er würde darüber hinwegkommen, wenn auch nicht heute oder morgen. Denn sie wusste: Ihr Sohn war nicht nur gescheit, er hatte auch einen starken Charakter.
     
    Statt einer Nachricht von Matthes traf Ende Juli ein weiterer Brief von Jakob ein, den ein alter Mann Agnes persönlich übergab.
    Sie erbrach ungeduldig das Siegel und begann zu lesen.
    Im Böhmerwald, den 9.   Juli
    anno Domini 1634
     
    Geliebte Mutter, liebe Schwester, lieber Neffe!
    Ich gebe diese Zeilen einem Nachrichtenhändler eurer Stuttgarter Wochen-Zeitung mit, da dies inzwischen der schnellste und sicherste Weg ist, Briefe zu verschicken (auch wenn diese Halsabschneider Unsummen dafür verlangen!). Ich bin wohlauf. Winter und Frühjahr habe ich mit einer Weimarschen Garnison aufs Angenehmste in Regensburg verbracht, ohne dass uns ein papistisches Regiment zu attackieren gewagt hätte. Die Bürger hier, fromme und redliche Leut, haben uns damals im November mit Jubel begrüßt, erst recht, als wir beim Siegeszug durch die Stadt Wein und Brot verteilen ließen. Sie zahlen getreulich ihre Kontributionen, ansonsten verläuft der Alltag hier ruhig, nahezu behaglich – fast wie zu Zeiten in Ravensburg, als ich für Doctor Majolis die Kranken versorgte.
    Mit Anbruch des Frühjahrs hieß es für mich wieder marschieren,
und ich musste leider Abschied nehmen. Nicht nur von der schönen

Weitere Kostenlose Bücher