Die Gauklerin
König lag, vermochte Matthes nicht zu beurteilen. Jedenfalls wurden neuerdings nur die höheren Dienstränge in die noblen Stadtquartiere verteilt, er selbst musste, wie alle Wachtmeister oder Feldweybel, mit der Vorstadt oder dem freien Feldvorlieb nehmen. Allerdings hatte de Parada ihm angedeutet, dass Matthes, sofern er sich bei der nächsten Schlacht bewährte, zum Rittmeister befördert würde. Das habe er an höchster Stelle läuten hören.
Matthes musste unwillkürlich lächeln, als er daran dachte, mit welchem Stolz in den Augen de Parada dies verraten hatte. Der Napolitaner schätzte ihn sehr. Längst war ihr Verhältnis nicht mehr das zwischen Befehlshaber und Untergebenem, sondern eines unter Kameraden. Fast hätte Matthes de Parada als Freund betrachtet, wenn ihm bei diesem Wort nicht unweigerlich der grausame Tod Gottfrieds in den Sinn gekommen wäre.
Alles in allem war Matthes fast zufrieden mit seinem Entschluss, im Heer zu bleiben. Denn was Ferdinand anordnete, hatte Hand und Fuß und diente allein dem Ziel, die Schweden und ihren deutschen Vasallen Bernhard von Weimar ins baltische Meer zu jagen oder gleich in die Hölle. Doch der Preis der Stärke kaiserlicher Macht erschien, wenn er es recht betrachtete, doch zu hoch. Und was kam nach der nächsten Schlacht? Würde das Morden und Brennen weitergehen? Gegen die Franzosen womöglich? In seinen Jahren als Soldat hatte er genug Elend gesehen und erlebt, um nicht mehr wie ein Weib in Flennen auszubrechen angesichts der unzähligen Toten, Halbtoten und Verstümmelten, die er auf den Schlachtfeldern zu sehen bekam. Was er indessen auf dem Weg die Donau aufwärts erblickt hatte, war ein einziges Bild der Trostlosigkeit. Alle unbefestigten Dörfer und Weiler, an denen sie vorbeigezogen waren, standen ausgeraubt und niedergebrannt, verlassen bis auf ein paar wenige abgemagerte Frauen und Kinder, die ihnen mit toten Augen nachstierten. Die einstmals fruchtbaren Felder lagen verwüstet, die Frucht verdorrt oder verfault, die Weiden von Soldatenstiefeln und Pferdehufen zertrampelt, die Brunnen zugeschüttet. Zu oft war das Land beiderseits der Donau Durchzugsgebiet der Heere gewesen. Nun war es totes Land, das sich auf Jahre, auf Jahrzehnte vielleicht, nicht mehr erholen würde.
Matthes starrte in seinen Bierkrug. Und jetzt auch noch Jakob! Was hatte sein kluger, sanftmütiger Bruder in diesem Krieg zu suchen? Er sah ihn vor sich, auf den Mauern der Festung Schweidnitz, den erschrockenen Blick, sein Rufen – und dann dieser Brief, den er ihm nach Pilsen geschickt hatte. Warum war er nicht zu Hause geblieben, bei der Mutter, und verabreichte kranken Stadtbürgern Pillen und Tinkturen? Er, Matthes, hatte geheult, als er Jakobs Schreiben erhalten hatte. Wenn er jetzt nur an ihn dachte, mochte er gleich wieder schreien vor Wut und Enttäuschung.
Das Schankmädchen ließ sich am Nebentisch nieder und begann mit zwei jungen Söldnern zu poussieren. Matthes trank sein Bier aus. Hätte er Frau und Kinder, so wie de Parada, dann wäre wenigstens etwas Lebendiges um ihn. Wie es wohl Agnes ging? Längst schon hätte er ihr nach Stuttgart, seiner Mutter nach Ravensburg schreiben müssen, dass sie sich in Sicherheit bringen sollten, hinüber in die eidgenössische Schweiz. Doch dazu war es nun zu spät. Viel zu spät.
Er ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken und begann lautlos zu weinen.
Agnes fand Prinzessin Antonia auf einer versteckten Bank im ‹Garten der Herzogin›. Das Gesicht der jungen Frau war tränennass.
«Ist die Lage denn so ernst, dass Ihr fliehen müsst?» Agnes merkte, wie heiser ihre Stimme klang.
«Ich weiß es nicht. Mir ist, als wäre mein Kopf ein aufgestöbertes Wespennest. Nördlingen ist belagert, zwanzigtausend Mann zählen die Kaiserlichen, und noch einmal so viele Spanier erwarten sie in den nächsten Tagen. An der Donau ziehen die Schweden ihre Truppen zusammen, mein Bruder marschiert morgen mit seinem Landesaufgebot los, um Bernhard von Weimar und den Rheingrafen zu unterstützen. Und im Osten des Herzogtums sind schon Tausende auf der Flucht.»
«Vielleicht ist es ja nur ein Kräftemessen. Vielleicht kommt es gar nicht zum Gefecht.»
Antonia schüttelte heftig den Kopf. «Der Kaiser will diese Schlacht. Und er will die württembergische Residenz einnehmen. Das haben unsere Kundschafter in sichere Erfahrung gebracht.» Wieder begann sie zu weinen.
Agnes setzte sich neben sie und trocknete ihr mit einem Spitzentuch aus
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