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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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nach Hause. Ich bringe dich nach Stuttgart.»

31
    Stuttgart, den 1.   Dezember
    anno Domini 1634
     
    Habe heute endlich erreicht, dass man mir Papier und Feder beschafft und ich meine Aufzeichnungen fortführen kann. Außerdem habe ich dem Stadtkommandanten meine Dienste als Wundarzt angeboten, wenn ich im Gegenzug dazu nach Mutter sehen darf. Gestern Abend nun war ich zum ersten Mal bei ihr, in dem verkommenen Häuschen dieser alten Vettel, wo sie nun alle hausen müssen. Es hat mir das Herz zerrissen, Mutter in ihrem elenden Zustand zu sehen. Aber wie unbeschreiblich war ihre Freude, als sie mich erkannt hatte. Ich weiß jetzt, wie sehr sie sich quält vor Sorge um Agnes und Matthes. Wie seltsam steht es doch um unsere Sprache: Wir sagen, ich sterbe vor Angst, indessen ist das völlig verkehrt. Denn Mutter würde nichts sehnlicher tun als sterben, allein die Angst hindert sie daran. Und wenn ich an meine Schwester denke, packt mich die blanke Wut: Sie hat vollkommen den Verstand verloren. Mit ihrem unsinnigen Entschluss macht sie mich noch rasender als Matthes, der als mein eigener Bruder die Waffe gegen mich erhoben hat. Dennoch bete ich für ihn, denn ich habe von meinen Bewachern gehört, er liege verwundet im Spital.
    Ich danke Gott, dass ich diesem Inferno vor Nördlingen entronnen und in Sicherheit bin – wenn auch nicht in Freiheit. So hab ich es noch glimpflich getroffen, auch wenn diese eklen Trossweiber mir alles geräubert haben bis auf meine Aufzeichnungen und meine kostbare Instrumententasche, die ich in einem Erdloch versteckt hatte.
    Es erscheint mir täglich mehr als ein Wunder, dass mich der Krieg noch nicht verschlungen hat. Ab und an beschleicht mich der blasphemische Gedanke, dass Gott mich ausersehen hat, das Leben in diesem Trümmerfeld neu zu entdecken. Dann wieder wünsche ich
mir nichts sehnlicher, als mit dieser Welt unterzugehen. Was ich nämlich, gefesselt und zu Fuß auf dem Weg nach Stuttgart, mit ansehen musste, übertraf jedes Maß an Grausamkeiten.
    In ihrem Siegestaumel hatte sich die kaiserliche Soldateska zu einem Monstrum gewandelt, das mit der menschlichen Species nichts mehr gemein hat. Gleich hinter Nördlingen sind sie über ein Landstädtchen hergefallen. Obschon sich keiner der Bewohner zur Wehr setzte, obgleich alle bettelten, flehten, heulten, fielen sie wie Teufel über sie her, schossen, hauten und stachen ihre Opfer zu Boden, um ihnen dann mit Hämmern und Äxten die Knochen und die Schädel zu zertrümmern, bis das Blut aus Ohren, Nase und Mund schoss und das Gehirn aus dem gespaltenen Schädel. Das alles, um auch noch das geheimste Versteck an Gold und Silber herauszupressen. Ich habe mit ansehen müssen, wie sie einem Bauern den Mund mit einem Keil spreizten und Jauche eingossen, dann auf seinen berstenden Leib sprangen, bis die stinkende Brühe wieder herausschoss. Wie sie einen anderen in die Augen stachen, wie Weiber, selbst Alte, Schwangere und Kinder, so oft hintereinander geschändet wurden, bis sie den Geist aufgaben.
    Das also ist die Rekatholisierung unseres Kaisers, und alles ad maiorem Dei gloriam, zum höchsten Ruhme Gottes! Oder um mit den Habsburgern zu sprechen: Grausamkeit gegen Andersgläubige ist der höchste Grad der Frömmigkeit.
    Es war bereits Anfang Dezember. Da Taupadel zu keinen Verhandlungen bereit war, gab Gallas schließlich den Befehl zum Beschuss der Festungsstadt Schorndorf. Die Kanonade begann vom Ottilienberg und vom Ziegeleigraben her. Doch die Festungsmauern hielten stand, ihre Granaten und eisernen Kugeln vermochten keine Breschen zu schlagen, durch die sie hätten eindringen können. Diese Stadt musste mit dem Teufel im Bunde sein.
    Matthes stand bei seiner Fußtruppe in Bereitschaft. Der Geschützdonnerhatte nachgelassen, als sich ihnen ein mit Weinfässern beladenes Fuhrwerk näherte. Auf dem Bock saß der Proviantmeister mit seinen beiden Knechten. Jetzt blies er in sein Horn und brachte den Wagen zum Stehen.
    «Alle Mann in Dreierreihen anstellen», brüllte er. «Befehl vom Lagerkommandanten. Jeder bekommt eine halbe Maß Wein.»
    Die Soldaten brachen in Jubel aus. Matthes erlebte nicht zum ersten Mal, dass vor einem besonderen Einsatz Wein ausgegeben wurde, um die Kampfmoral zu stärken – meist schwerer Tokaier, der kurzzeitig die Sinne benebelte und die Angst betäubte. Ungewöhnlich war die große Menge, denn für den gemeinen Söldner gab es im Lager schon lange keinen Wein mehr. So fragte er, als die Reihe an ihm

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