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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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nicht. Bin dir nach, als du wegliefst und einer der Männer dir hinterher.» Er blickte auf seine Hände «Ich hab ihn totgemacht.»
    Agnes sah die Verwirrung in seinen Augen. Sie wollte etwas Tröstliches sagen, doch ihr fiel nichts ein.
    «Und dann?»
    «Bin in den Wald. Hier, hab ich gefunden.»
    Er nahm den Schuh aus seinem Beutel und zog ihn ihr behutsam über den zerrissenen Strumpf.
    «Bin allen Spuren gefolgt. Ich kann das. Vier Tage und vier Nächte lang. Bis ich das Loch gefunden habe.»
    «Die Männer oben an der Schlucht – sind sie weg?»
    «Ja. Das hier haben sie zurückgelassen. Iss.»
    Aus seiner Rocktasche holte er ein paar Fetzen hartes, trockenes Fleisch. Fast widerwillig nahm es Agnes und begann zu kauen. Es schmeckte bitter und nach Erde. Sie musste sich zwingen, es zu schlucken. Einen Moment lang krampfte sich ihr Magen zusammen, und sie glaubte, sich übergeben zu müssen. Dann war ihr wohler.
    «Wir müssen die andern suchen.»
    «Später. Erhol dich erst.»
    «Aber es geht schon wieder.»
    Sie erhob sich mühsam, doch bereits im nächsten Augenblick knickten ihre Beine ein, und sie fiel zu Boden. Tränen schossen ihr in die Augen.
    Andres schüttelte den Kopf. Dann begann er, ihre steifen Gliedmaßen zu klopfen und zu kneten, zu biegen und zu beugen. Zunächst war ihr das äußerst unangenehm, denn er berührte ihre bloßen Arme und Beine, und er war doch ein Mann. Indessen schien er in ihr nur die Versehrte, nicht die Frau zu sehen, und so überließ sie sich schließlich der angenehmen Empfindung der Wärme, die in ihren Körper zurückkehrte.
    «Besser?»
    Sie nickte.
    «Dann komm.»
    Agnes fühlte sich wie eine Greisin, als sie an seiner Seite und gestützt auf einen Stock durch die Schneereste und Laubhaufen schlurfte. Jede Bewegung schmerzte, doch sie biss die Zähne zusammen. Am schlimmsten war der Weg aus dem Tobel heraus, denn streckenweise kamen sie nur mitten durch das Bachbett voran. Endlich standen sie auf einer kleinen Lichtung, die von einer Seite durch einen felsigen Hang begrenzt wurde. Es begann zu regnen.
    Der Junge deutete auf eine Nische im Fels. «Hier bleiben wir.»
    Schweigend machte er sich daran, ein Lager aus Moos und Zweigen zu bereiten. Agnes hatte längst gemerkt, dass er nicht gewillt war, mehr als das Nötigste zu reden. Zwar hatte er die Sprache wiedergefunden, doch erschien er ihr sonderlicher denn je. Wie ein zu groß geratenes Kind. War er tatsächlich nicht recht bei Sinnen? Der Gedanke, auf ihn angewiesen zu sein, beunruhigte sie.
    Es war bereits Nacht, als sich Agnes endlich erschöpft auf ihrem Lager unter dem Felsvorsprung ausstrecken konnte. Andres hatte es sogar geschafft, ein kleines Feuer zu entfachen.
    «Andres?»
    «Ja?»
    «Ich danke dir.»
    Im Feuerschein sah sie die Verlegenheit auf seinem Gesicht. Dann senkte er den Blick. «Du hast mich ins Leben zurückgeholt», sagte er.
    «Was war in deinem Dorf geschehen?»
    Der Junge schüttelte den Kopf und schwieg. Sie wollte ihn nicht bedrängen, vielleicht würde er ihr irgendwann aus freien Stücken erzählen. Im Halbschlaf nahm sie wahr, wie er sich nebensie legte, diesmal zu ihrer Erleichterung mit geziemendem Abstand.
    «Wie heißt du in Wirklichkeit?», flüsterte sie.
    «Andreas.»
    «Als ob ich es gewusst hätte.»
     
    Am nächsten Morgen hatte sie Fieber, und ihr Kopf dröhnte. Immer wieder überfiel sie unruhiger Schlaf, aus dem sie mal schweißgebadet, mal zitternd vor Kälte auffuhr. Es dauerte jedes Mal endlose Momente, bis sie wusste, wo sie sich befand. Ab und an flößte ihr Andres eine heiße Suppe ein, die nach Gras und verfaulten Beeren schmeckte. Manchmal erwachte sie, und Andres war nicht da. Dann weinte sie wie ein kleines Kind.
    So dämmerte sie Tage um Tage dahin wie ein waidwundes Tier, ohne zu wissen, wie viel Zeit vergangen war. Einmal hörte sie, als sie allein war, in ihrer Nähe einen Wolf heulen. Sie begann aus Leibeskräften zu schreien, so lange, bis Andres neben ihr kniete, das Gesicht gerötet vom Laufen.
    «Keine Angst», sagte er. «Ich bin immer in deiner Nähe.»
    Eines Morgens dann weckte sie ein Sonnenstrahl, der durch den Felsspalt auf ihr Gesicht fiel. Vor dem Eingang sah sie den Jungen sitzen. Er schnitzte an einem Stück Holz.
    «Guten Morgen, Andres.»
    Überrascht wandte er sich um. Dann kroch er neben ihr Lager und legte ihr die Hand auf die Stirn.
    «Kein Fieber», beschied er.
    Agnes nickte. »Ich denke, ich bin wieder gesund.»
    «Gut. Du musst

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