Die Gauklerin
war: «Was ist der Anlass für diese großzügige Gabe?»
«Wir machen den Schweden gleich Feuer unterm Arsch. Haltet Eure Leute bereit. Es wird keine drei Vaterunser dauern, und Ihr könnt stürmen.»
Dazu sollte es indes an diesem Abend nicht kommen, denn obwohl die mit Pulver gefüllten Brandkugeln ihre Wirkung taten und bald die ersten Häuser in Flammen standen, blieb die schwedische Garnison unbeugsam. Bei Einbruch der Nacht dann kam eine kräftige Brise auf und fachte die Flammen erneut an. Gebannt beobachtete Matthes das Schauspiel: Ein Brandherd nach dem anderen loderte auf, bis der rote Feuerschein über der Stadt die Nacht zum Tage machte. Als am Morgen endlich die Schweden die Tore öffneten, gegen freien Abzug ihrer Besatzung, bot Schorndorf ein Bild der Zerstörung: Lediglich das Burgschloss, der Chor der Stadtkirche und zwei, drei Bürgerhäuser hatten das Feuer unbeschädigt überstanden, der Rest war eingeäschert. Die einst nach Stuttgart reichste Stadt im Herzogtum Württemberg war dem Erdboden gleichgemacht.
Matthes eilte mit seinem feuchten Halstuch vor dem Gesicht durch die schwelenden Trümmer in Richtung Burgschloss. SeineMänner hatte er aus den Augen verloren, ohnehin gehorchte jetzt, wo die Stadt zum Plündern freigegeben war, niemand mehr einem Befehl. Ein Horde Trossweiber drängte ihn zur Seite, die Handwagen übervoll bepackt mit Geschirr, Kerzenständern und Bettwerk, ihre Blagen stürmten in die zerstörten Häuser, um immer noch mehr Beute zu erhaschen, aus dem Keller einer ausgebrannten Schenke wuchteten Soldaten Bierfässer auf die Gasse, andere zerrten am Strick und unter Schlägen einen nackten Greis hinter sich her. Ein Pferdekadaver versperrte ihm den Weg, umringt von hungrigen Menschen, die dem Tier das Fleisch in Streifen vom Leib schnitten. Nur Kopf und Hals waren noch unversehrt, und Matthes sah die im Todeskampf verdrehten Augen, sah das glänzende Fell, das im selben hellen Rotbraun schimmerte wie das Fell seines eigenen Pferdes. Rasch wandte er sich ab und schlug einen anderen Weg ein. Hier, in dieser schmalen Gasse, schlugen noch immer Flammen aus den Häusern, es stank nach verbranntem Fleisch. Plötzlich krachte unmittelbar vor ihm eine Hauswand ein. Mit einem Sprung zur Seite rettete er sich noch eben vor den herabstürzenden Dachbalken – brüllte da nicht jemand um sein Leben, inmitten der Trümmer? Eine Frauenstimme? Er presste die Hände gegen die Ohren und rannte weiter, wollte nicht daran denken, wie viele Menschen vor ihnen in Keller und Häuser geflohen waren, nur um dort elendig zu ersticken oder zu verbrennen oder von den einstürzenden Trümmern erschlagen zu werden.
Er gelangte auf einen kleinen Platz hinter der Stadtkirche, deren Turm noch immer wie eine Fackel brannte.
«Au! Na warte, du Luder!»
Matthes fuhr herum. Ein Kaiserlicher, herausgeputzt wie ein Pfau und mit der roten Schärpe der Offiziere, hielt ein Mädchen bei den Handgelenken, das wild um sich trat und seinen Angreifer zu beißen versuchte. Sie zählte höchstens zwölf Jahre. Leibchen und Hemd waren zerrissen, die noch zarten Rundungenihrer Brüste den Blicken preisgegeben. An ihr Kleid klammerte sich ein kleiner Bub, der jämmerlich nach der Mutter heulte.
«Komm mit. Und du verschwinde, du Bastard!»
Der Offizier, in dessen Augen die blanke Gier stand, gab dem Jungen einen Tritt, der ihn aufs Pflaster schleuderte.
«Gebt sie sofort frei.» Matthes stellte sich dem Mann in den Weg. «Sie ist doch noch ein Kind.»
«Potz Strahl! Was fällt Euch ein, Euch einzumischen?»
«Bei Eurer Ehre als Mann und Offizier: Lasst das Kind laufen.»
«Hör mal, Bürschchen, was glaubst du eigentlich, wer du bist?»
Matthes reckte trotzig das Kinn. «Ich bin zwar nur Corporal, doch mein Vetter ist der Hauptmann Deveroux.»
In den Augen des Mannes flackerte Unsicherheit auf. Er zögerte, dann ließ er das Mädchen los. Es rannte zu dem Jungen, der immer noch am Boden lag, und schloss ihn in die Arme.
«Falls du mir einen Bären aufgebunden hast, lass ich dich aufhängen.» Wütend spuckte der Offizier aus und ging seiner Wege.
Matthes trat zu den beiden Kindern.
«Wo sind eure Eltern?»
«Vater haben sie erschlagen.» Das Mädchen sprach leise, er konnte es kaum verstehen. «Und unsere Mutter hat sich in die Kirche geflüchtet.»
«Ich bringe euch hin. Habt keine Angst, ich tu euch kein Leid.»
Widerstrebend erhob sich das Mädchen. Dann nahm sie den Jungen an der Hand und folgte ihm
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