Die Gauklerin
Pfaffen abbekommen hat, dröhnte es ihm in den Ohren. Er sah Josefa vor sich, wie sie ihn kalt lächelnd vor seinen Kameraden zum Gespött gemacht hatte.
Er gab ihr einen Stoß vor die Brust, der sie ins feuchte Gras fallen ließ, und stellte sich breitbeinig über sie. «So nicht», stieß er hervor. «So redest du nicht mit mir.»
«Recht so, Oberschwab. Zeig ihr, wie ein bockiges Pferd geritten wird.» Wilhelm zerrte sich den Mantel vom Leib und band sich ebenfalls die Hose auf. «Du zuerst und dann wir. Bis zur fröhlichen Auferstehung.»
Hilflos lag das Mädchen am Boden, doch aus ihren Augen sprühte Hass, nicht Angst.
«Du erbärmlicher Feigling», zischte sie.
In Matthes’ Ohren begann es zu rauschen, das Blut schoss ihm in die Lenden, er glaubte zu zerbersten: vor Wut, vor Verzweiflung, vor Ekel. Rasend schnell hatte er sich die Hose heruntergerissen und war in sie eingedrungen. Das Mädchen schrie auf, so heftig stieß er zu, vier-, fünfmal nur, dann mischte sich in ihr Schreien sein eigenes Gebrüll. Seine Hände krallten sich in ihre nackten Schultern, Tränen schossen ihm in die Augen, dann war es vorüber und er kippte zur Seite. Er grub sein Gesicht in die nasse Erde, hörte das Keuchen und Lustgestöhn der anderen, einer nach dem andern machten sie sich über das Mädchen her, das keinen Laut mehr von sich gab. Dann nahm ihm eine eiserne Faust die Luft, und ihm wurde schwarz vor Augen.
Als er erwachte, war es still um ihn herum. Aus der Ferne hörte er leises Schnarchen. Jemand hatte seinen Mantel über ihn gebreitet. Er öffnete die Augen und beobachtete, wie sich Wolkenfetzen vor den runden Mond schoben. Morgen schon würde das alles ein Ende haben, morgen würde er desertieren. Nach Hause wollte er, zurück in sein Elternhaus, zu seiner Mutter, an das Grab seines Vaters.
Agnes wehrte sich nicht gegen Andres’ Drängen, nach Stuttgart zurückzukehren, bevor der Winter endgültig käme und Schnee und Eis die Reise unmöglich machen würden. Schließlich konnte Matthes mit seinem Regiment inzwischen überall in Deutschland sein, und so musste sie es dem Schicksal und Gottes Fügung überlassen, ob sie ihren Bruder jemals wiedersehen würde. Sie spürte, dass sie einfach nicht mehr die Kraft hatte, in diesem verheerten Land umher zu vagieren. Alles in ihr drängte heim zu ihrer Familie, ihrem Sohn und zu ihrer Mutter. Dass auch Jakob inzwischen in Stuttgart war, darauf setzte sie ihre ganze Hoffnung.
Der erste Schnee war längst geschmolzen, als sie sich aufmachten. Sie marschierten die kurze Spanne von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ohne Rast, zunächst immer entlang der Jagst in Richtung Süden. Ab Aalen würde sie den Weg kennen, dessen war sie sich sicher. Sie mussten nur der Rems aufwärts folgen.
Gegen den Willen des Jungen hatte sie durchgesetzt, noch einmal das letzte Nachtlager der Gaukler aufzusuchen. Sie hatten es auf Anhieb gefunden, denn Andres war tatsächlich ein hervorragender Spurenleser. Das Bild, das sich ihnen auf der Lichtung bot, bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen: Die Handkarren lagen zerschlagen im Gras, abgebrochene Äste und Zweige deuteten auf Kämpfe hin, einer der Hunde hing halbverwest im Gebüsch.
Andres bückte sich und zog einen Dolch aus dem Gestrüpp.«Gehen wir», sagte er und schlug den Saumpfad oberhalb des Flusses ein.
Nachdem sie am dritten Morgen ums Haar von einer Horde zerlumpter Männer entdeckt worden wären, mieden sie fortan die Flusstäler. Sie wussten längst: Entlang der Täler zogen nicht nur die Soldatenvölker, sondern auch die Marodeure. So wanderten sie bergauf, bergab, mal in Sorge, den Flusslauf aus den Augen zu verlieren, mal, ihm zu nahe zu kommen. Vor jeder Menschenansammlung waren sie inzwischen auf der Hut. Der Mensch war gefährlicher als der Wolf, der in den Wäldern heulte. Doch auch die langen Nächte lasteten wie ein Alb auf Agnes. Dann fielen die Einsamkeit über sie her und die Zweifel, jemals wieder nach Hause zu finden. Stundenlang lag sie wach im Schutz eines Felsvorsprungs oder Buschwerks, von Andres’ Körper notdürftig gewärmt, halbe Nächte lang, trotz ihrer Erschöpfung.
Auch der Hunger ließ sie nicht schlafen. Jetzt, zum Jahresende, boten Wald und Feld kaum noch Nahrung, und an Häuser wagten sie sich nur noch heran, wenn sie einzeln und abgeschieden lagen. Andres schlich dann jedes Mal voraus, um zu erkunden, ob Gefahr drohte. Wenn sie sich erdreisteten, um Brot zu betteln – denn Geld
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