Die Gauklerin
Abend eine Herberge aufgesucht. Zu Agnes’ Enttäuschung indes keines der schmucken Gasthäuser an den Marktplätzen, vielmehr einfache Unterkünfte mit Schlafsaal oder Strohsäcken in der Schankstube, die wohlfeil waren und auch noch zu später Stunde den Reisenden offen standen. Sie fanden sich überall in den Vorstädten oder entlang der Landstraßen. Meist waren die Stuben schmutzig und überfüllt, doch nach jener ersten Nacht im Schafstall hatte sich Agnes an Gestank und Kakerlaken kaum noch gestört. Wenigstens lagen sie warm und trocken und waren vor Wegelagerern geschützt. Ohnehin hatten die Ausgaben für Brücken- und Wegezoll, für Ufer-, Grenz- und Pflastermaut den Inhalt ihrer Reisekasse empfindlich geschmälert, und so war Agnes für dieses Mal beinahe froh, dass sie ihren Kopf nicht durchgesetzt hatte.
Jetzt, da sie nahezu am Ziel ihrer Reise waren, dankte sie Gott, dass er sie vor Heimsuchungen wie Unwetter, Überfällen oder durchziehenden Kriegsvölkern bewahrt hatte. Selbst das Wetter hatte sich zusehends zum Besseren gewandt: Nach zwei trüben, regnerischen Tagen war es endlich trocken, wenngleich kälter geworden, und heute Morgen schien sogar die Sonne auf die Weingärten, die sich hier überall die Hügel hinauf zogen.
Agnes schlang sich die Reisedecke fester um die Schultern und dachte daran, wie sie sich am Vortage auf einer dieser Terrassen, mitten zwischen den kahlen Rebstöcken, geliebt hatten. Sie musste lächeln und warf einen Seitenblick auf Kaspar. Zum ersten Mal nahm sie so etwas wie Anspannung in seinem Gesicht wahr. Gewiss drehten sich seine Gedanken um die Audienz beim herzoglichen Kapellmeister.
Am Rande eines hübschen Weingärtnerdorfs machten sie Rast. Vor ihnen, am jenseitigen Ufer, erhob sich die Ruine der Burg Württemberg hoch über dem Neckartal.
«Noch drei oder vier Wegstunden, und wir sind da», sagte Kaspar, während er das Maultier zum Grasen ausspannte. Dann hielt er inne. «Die Steiger-Brüder – ihre Eltern waren Spielleute wie die meinen. Ich kenne sie seit meiner Kindheit.» Er räusperte sich. «Weißt du, sie sind aus grobem Holz geschnitzt, vielleicht etwas ungehobelt, aber sie haben einen guten Kern.»
Agnes musste lachen. «Schaust du deshalb so gramvoll? Was kümmern mich diese Brüder. Ich hatte schon gefürchtet, du bereust es, mich mitgenommen zu haben.»
«Aber du bist doch meine Glücksgöttin, meine Fortuna.» Er ließ das Maultier stehen, wo es stand, noch halb im Geschirr, und riss sie stürmisch in seine Arme, bedeckte ihren Hals, ihren Nacken mit Küssen, bis Agnes ihn schließlich von sich schob.
«Siehst du nicht die Frauen dort hinten am Brunnen? Wie sie sich die Augen ausstieren nach uns. Lass uns rasch etwas essen und dann weiterfahren.»
Noch vor der Abenddämmerung erreichten sie von Norden her die Residenz, die zu drei Seiten von Weinbergen und Waldstücken überragt wurde. Das trutzige Schloss des Herzogs mit seinen mächtigen Rundtürmen beherrschte die Stadtsilhouette. Ihr Weg führte am Bachufer entlang bis zu einer hohen, weiß gekalkten Mauer. Dahinter verbarg sich der fürstliche Lustgarten, erklärte Kaspar ihr. Zu sehen von der Pracht war nur das kahle Geäst riesiger Pappeln und Platanen, die hier und da über die Mauer ragten.
Die Esslinger Vorstadt, in der die Gebrüder Steiger wohnten, zeigte wenig vom Glanz einer Residenzstadt. Zwischen niedrigen, nicht gerade ansehnlichen Holzhäusern führten Gassen ohne Pflaster, eng, krumm und holprig. An den Ecken häufte sich Mist, in dem frei laufende Schweine wühlten. Agnes rümpfte die Nase.
«Wart nur, wenn an heißen Tagen der Nesenbach zu stinken beginnt.» Kaspar lenkte den Karren in eine finstere Sackgasse, die so eng war, dass kein Kind mehr zwischen Radnabe und Häuserwand gepasst hätte. «Die Stuttgarter nennen ihn ‹Wälzimdreck›. Aber keine Sorge, wir werden bald oben in der Liebfrauenvorstadt wohnen. Da ist die Luft rein, und die Gassen werden jeden Tag zweimal gekehrt. So, da wären wir.»
Sie hielten vor einem verwitterten Lattenzaun, der nur noch durch Brombeergestrüpp zusammengehalten schien. Dahinter drängten sich fünf, sechs Häuschen und Schuppen um einen mit Unkraut überwucherten Hof, wobei kaum auszumachen war, was davon Schuppen, was Wohnhaus war. Neben einem Haufen altem Gerümpel und Gerätschaften nahm eine Frau in fleckigem Kittel und Kopftuch gerade die Wäsche von der Leine.
«Warte hier.» Kaspar sprang vom Karren. «Ich will
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