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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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brauchen wir nicht zu warten.»
    Agnes setzte sich ihr gegenüber und betrachtete die alte Frau mit dem Jungen auf dem Schoß. Wie sehr hatte sich Else verändert, seit sie und David hier lebten. Die ehedem so streitsüchtige, abweisende Frau mit der spitzen Zunge legte nun eine Mütterlichkeit an den Tag, die Agnes ihr niemals zugetraut hätte. Zwar lag Else nach wie vor nichts an ordentlicher Haushaltsführung, doch seit Agnes diesen Part übernommen hatte und Lienhard fort war, hatten sie es sauber und einigermaßen behaglich in dem bescheidenen Häuschen der beiden Alten.
    Und dennoch – sie sorgte sich um Else. Obwohl Agnes die schweren Arbeiten wie Böden schrubben und Holz hacken übernommen hatte, sah Else von Tag zu Tag erschöpfter aus. Auch hinkte sie seit diesem Winter stärker.
    David begann erst zu jammern, dann zu brüllen, und Else legte ihn Agnes behutsam in die Arme. «Das arme Bubele hat Hunger. Bekommt er tagsüber nur die Brust?»
    Agnes schüttelte den Kopf. «Das reicht ihm längst nicht mehr. Ich gebe ihm zweimal am Tag Dinkelmus.» Im selben Moment schoss ihr durch den Kopf, dass sie Else niemals danach gefragt hatte, ob es rechtens sei, wenn sie sich nun auch für den Kleinen an den Vorräten bediente. Denn sie trug längst nichts mehr zu den Kosten bei. Kaspars Gulden waren schon wenige Monate nach seiner Flucht aufgebraucht gewesen, auch wenn sie gleich nach Davids Geburt die Dachkammer aufgegeben hatte. Seither war sie ein zusätzlicher Esser im Haus, Schmalhans war längst Küchenmeister geworden. Und jetzt auch noch David.
    Zwei Wochen zuvor hatte sie sich aus diesem Grund sogar überwunden, im Spital nachzufragen, ob sie als Mutter, diegleichsam als Witwe lebte, Anspruch auf Zuwendungen aus der Almosenkammer habe. Doch der Spitalmeister hatte nur gelacht – da müsse sie schon den Leichnam ihres Gatten präsentieren, um als Witwe anerkannt zu werden. Ansonsten könne sie ja dorthin zurück, wo sie her sei. Und was ihr Ehemann für ein Schelm sei, wisse ohnehin jeder in der Stadt.
    Verunsichert beobachtete sie Else, die sich mit zittriger Hand nachschenkte und sie dann anlächelte. Doch ihre Augen blickten müde.
    «Das habe ich mir fast gedacht, meine liebe Agnes. Ich meine, dass da keine Maus am Dinkelsack nascht.»
    «Ich bin euch eine Last!»
    «Nun – reicher hast du uns nicht grad gemacht. Und David wird größer und hungriger. Ich fürchte, du wirst dir über kurz oder lang eine Arbeit suchen müssen.»
    «Wie soll ich das anstellen? David kann noch nicht mal laufen. Sonst hätte ich doch längst bei den Weingärtnern nachgefragt. Und Dienstmädchenstellen sind rar.» Als Else schwieg, setzte sie nach: «Sag es frei heraus – du willst, dass wir gehen!»
    Jetzt ging Elses Lächeln in ein breites Grinsen über. «Dummes Zeug! Meinen kleinen Wurm würd ich gar nicht hergeben. Hör zu: Morgen früh wirst du mit mir ins Schloss gehen, und wenn du dich nicht hanebüchen dumm anstellst, wirst du in der Küche meine Arbeit übernehmen. Es ist schon alles ausgehandelt.»
    Es dauerte einen Augenblick, ehe Agnes begriff. «Deine Arbeit als Spülmagd? Und du? Und was ist mit dem Buben?»
    «Wir drehen den Spieß um. Du gehst zur Arbeit, und ich hüte das Kind. Außer an den Sonn- und Festtagen, da werde weiterhin ich gehen. Ich hab dich schon angepriesen wie Zuckerwerk: als jung, tüchtig und gesund – und damit gleich einen viertel Gulden mehr in der Woche ausgehandelt. Wir schlagen also drei Fliegen auf einen Streich: Es kommt mehr Geld ins Haus, du kriegst endlich Fleisch auf die Rippen, denn was da an Restenvom fürstlichen Tisch abfällt, reicht für eine halbe Kompanie. Und ich kann kürzer treten. Das ewige Stehen und Gehen den ganzen Tag hätte ich kein Jahr länger ausgehalten. Jetzt red schon: Willst du oder willst du nicht?»
    «Aber ja. Das ist – das ist wunderbar!» Agnes lächelte dankbar und konnte doch nicht umhin, sich insgeheim zu fragen, was ihre Eltern von einer Anstellung als Spülmagd gehalten hätten.
    «Na also. Aber ich sag dir gleich: Es ist eine Schinderei. Von früh bis spät in diesem Qualm, der Küchenmeister ist ein fettes Scheusal, deine Hände werden aussehen wie Reibeisen. Und um die Essenreste haut ihr euch dann jeden Abend die Köpfe blutig.»
    «Gleich morgen kann ich anfangen?»
    «Gleich morgen.»
     
    Schinderei war noch ein harmloses Wort für das, was Agnes von nun an jeden Morgen erwartete. Die Alte hatte ihr wohlweislich verschwiegen, dass

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