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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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sie auf der Hühnerleiter des fürstlichen Küchengesindes auf der untersten Sprosse stand – beinahe jedenfalls. Nur Franz, der schmächtige Küchenjunge, wurde noch mehr getriezt.
    An jenem ersten Morgen erlebte Agnes bereits eine Enttäuschung, hatte sie doch gehofft, endlich mehr von der im ganzen Land gerühmten Pracht der herzoglichen Residenz entdecken zu dürfen. Der staubige Weg entlang der Mauer, die den so genannten ‹Garten der Herzogin› vor fremden Blicken verbarg, führte sie vor den Neuen Bau, den Baumeister Schickhardt ganz nach der italienischen Mode entworfen hatte und der bald noch prächtiger anzusehen war als das benachbarte Schloss. Er beherbergte den großen neuen Marstall, darüber den zweigeschossigen Festsaal und unter dem Dach des Herzogs Waffen- und Rüstkammer. Als Agnes neugierig und voller Bewunderung stehen blieb, wurde sie spornstreichs von einem herzoglichen Lakaien angepfiffen, sie solle sich aus dem Weg schaffen und weitergehen. Da hörtesie auch schon das Hufgetrappel: Eine Abteilung Reiter auf edlen Hengsten kam durch das Haupttor getrabt. Agnes konnte gerade noch zur Seite springen.
    Vor dem Schloss angelangt, legte sie den Kopf in den Nacken und sah an den mit Erkern und Türmchen besetzten wuchtigen Mauern empor, bis ihr schwindelte. Derweil hatte Else an eine schmale Eichenholztür geklopft. «Jetzt komm endlich», zischte sie, als sich eine Luke öffnete und kurz darauf auch die Tür. Von nun an bekam Agnes nur noch steile Stiegen und düstere Gänge zu Gesicht. Zweimal hinunter, zweimal hinauf, einmal rechts um die Ecke, einmal links und wieder rechts, Gänge ohne Tageslicht, von Tranlampen nur notdürftig erhellt, ohne jeden Schmuck und dabei feucht und modrig.
    Durch einen Vorraum, in dem die fertigen Platten und Schüsseln für die Morgenmahlzeit bereitstanden, gelangten sie in die Gesindeküche, ein riesiger Raum, dessen hohes Gewölbe auf breiten Steinsäulen ruhte und der gewiss dreimal so groß war wie Steigers Hütte. Spärliches Licht drang durch eine Reihe schmaler Fenster an der Außenwand, die so weit oben angesetzt waren, dass nicht einmal eine herkömmliche Leiter herangereicht hätte. So war auch hier der Blick nach außen verwehrt. Agnes wusste von Else, dass die Küchen zu ebener Erde untergebracht und dem herzoglichen Lustgarten zugewandt waren – doch ebenso gut hätten sie in einem Keller liegen können. Ebenfalls an der Außenwand befanden sich die zahlreichen Öfen und offenen Herdstellen, deren Abzüge in die fünfzehn Mann hohen Zwillingskamine mündeten. An klaren Tagen waren sie mit ihrer Rauchmütze bis ins Neckartal sichtbar.
    Else führte sie zwischen den lang gestreckten Tischen hindurch, an denen geschnitten und gehobelt, geraspelt und gehackt wurde. An den Wasserbecken, die sich entlang der gesamten Rückwand erstreckten, standen zwei Frauen, die beide um die fünfzig Jahre zählen mochten, und schrubbten Töpfe.
    «Das ist dein Reich. Und von Luise und Gerlind lass dich nicht ins Bockshorn jagen. Sie sehen grimmiger aus, als sie sind.»
    Die eine namens Luise nickte ihr kurz zu, die andere murmelte so etwas wie: «Aha, die Gauklerin.» Damit schien für die beiden die Begrüßung beendet.
    «Das Wasser im rechten Becken muss stets klar sein. Luise wird dir zeigen, wo der Brunnen ist. Sobald du mit dem dreckigen Geschirr fertig bist, holst du dir die nächste Ladung aus dem Vorraum. Das muss wie am Schnürchen laufen, sonst reißt dir die Obermagd den Kopf ab.»
    Else musste nahezu schreien, um den Lärm rundum zu übertönen. Das Scheppern der Töpfe und Pfannen, der harte, schnelle Schlag von Messerschneiden auf Holz, das Zischen der Fettspritzer im Feuer, Anweisungen, die irgendwer an irgendwen weiterbrüllte – dass alles fügte sich zu einem geradezu infernalischen Spektakel. Dazu wirbelten mindestens drei Dutzend Bediensteter zwischen den Tischen und Herdstellen umher. Unwillkürlich musste Agnes an einen Ameisenhaufen denken, in dem ohne erkennbaren Plan alles kreuz und quer ging und doch jedes Tier seinen Weg und seine Aufgabe hatte. Sie wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Bereits jetzt, am frühen Morgen, standen Hitze und Qualm in Schwaden unter der Decke. Agnes ahnte: Das würde ein harter Broterwerb werden.
    «Und jetzt schwenk recht auffällig deinen Arsch – wir gehen zum Küchenmeister. Der liebt hübsche Jungfern.»
    Durch einen Rundbogen gelangten sie in die Hauptküche, wo Wild, Fisch und Geflügel

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