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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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fragte Matthes mürrisch, nachdem sein Freund gegangen war.
    «Ich habe gestern Abend einen Boten am Haustor abgefangen. Mit einer Nachricht von Agnes. Die ganze Nacht habe ich gegrübelt, ob ich sie den Eltern weitergeben soll, aber dann dachte ich, ich bespreche es erst mit dir.»
    «Jetzt sag endlich, was sie schreibt.»
    «Sie bittet Vater und Mutter um Verzeihung. Sie bittet sie, ihr Schweigen zu brechen und ihr ein einziges Mal wenigstens zu schreiben. Der Brief ist an Heiligabend verfasst – ich glaube, Agnes hat furchtbares Heimweh.»
    Matthes dachte daran, wie sie am vorletzten Weihnachten von Agnes’ Hochzeit erfahren hatten und ihre Mutter das Schreiben mit versteinerter Miene in den Ofen geworfen hatte. Das Weihnachtsfest war selbstredend verdorben gewesen, und seither hatteMutter den Namen ihrer Tochter nie wieder erwähnt. Matthes vermutete, dass die Eltern bis zu diesem Zeitpunkt auf Agnes’ Rückkehr gehofft hatten, doch dann, mit der Hochzeit, die recht erbärmlich gewesen sein musste, die familiären Bande endgültig zerschnitten sahen.
    Er bemerkte, wie Jakobs Mundwinkel zitterten. «Das ist noch nicht alles, hab ich Recht?»
    «Sie hat ein Kind. Einen Sohn, und noch vor der Geburt ist dieser Dreckskerl auf und davon.»
    «O mein Gott», entfuhr es Matthes. «Wo ist der Brief?»
    «Ich habe ihn in unserem Zimmer versteckt.»
    «Gut so. Wir zeigen ihn Mutter erst, wenn sie wieder ganz bei Kräften ist. Dieser Katarrh hat sie ziemlich gebeutelt.»
    «Vielleicht sollten wir es ganz anders angehen. Du weißt doch, bald ist Ostern, und da habe ich zwei Wochen Ferien.»
    «Du vielleicht – ich nicht.»
    Jakob senkte die Stimme. «Ich dachte, wir beide reisen nach Stuttgart und holen Agnes zurück.»
    «Du hast doch einen Sparren zu viel! Was meinst du, was mir der Meister erzählen würde.»
    «Gottfried könnte ihn überreden, dich freizustellen. Er ist doch dein Freund.»
    Aber Matthes dachte nicht daran, seine Lehrstelle aufs Spiel zu setzen. Zum ersten Mal hatte er etwas, das er zu Ende bringen wollte, zumindest bis zur Gesellenprüfung. Inzwischen konnte ihm nicht mal mehr sein Vater die Anerkennung verweigern, denn was er bei Meister Gessler leistete, was er dort an Fertigkeiten erlernt hatte, stand den Leistungen seines kleinen Bruders in nichts nach.
    «Nein», sagte er. «Schlag dir diesen Furz aus dem Kopf. Und wenn du unsere Schwester unbedingt retten willst, musst du eben allein nach Stuttgart.»
    «Aber das ist viel zu gefährlich.»
    «Gefährlich, pah! Du Hasenfuß!»
    «Selber!» Jakob ballte die Fäuste. «Traust dich nicht mal deinen Meister um ein paar dienstfreie Tage zu bitten. Warum nicht, wenn der doch so große Stücke auf dich hält?»
    «Meine Gründe gehen dich einen Dreck an. Und jetzt lass mich in Ruhe, ich hab noch was andres vor an meinem freien Sonntag.»
     
    Agnes entzündete die weiße Kerze, die sie für die Unsumme von zwanzig Kreuzern erstanden hatte. Dann holte sie drei Becher vom Küchenbord und stellte sie zu dem Krug Rotwein und dem Brotkorb auf den Tisch, neben eine Hand voll abgegriffener kleiner Holzfiguren. Energisch versuchte sie die düsteren Gedanken, die sie schon den ganzen Tag bedrängten, fortzuwischen. Ihr Sohn hatte ein Recht darauf, dass dieser Tag mit Freude begangen wurde, auch wenn sein Vater ihn im Stich gelassen hatte. Und sie selbst musste endlich aufhören, auf Kaspars Rückkehr zu hoffen.
    Sie nahm David aus seiner Wiege und stellte ihn auf den Boden. Auf seinen dicken krummen Beinchen, beide Hände an ihre geklammert, machte er seine wackligen Gehversuche und jauchzte dabei vor Vergnügen. Agnes drückte ihn an sich.
    «Viel Glück und Gottes Segen zu deinem ersten Geburtstag, mein Schatz. Und das hier ist für dich.»
    Sie gab ihm eine der Holzfiguren in die Hand.
    «Damit hab ich schon als kleines Mädchen gespielt. Meine Gauklersfreunde haben sie mir geschnitzt, die hübschen Figuren.»
    «Herrje, was bin ich für ein Esel.» Else stand im Türrahmen. «Letzte Woche noch hab ich mit Melchert darüber geredet, dass unser Kleiner heute Geburtstag hat, und jetzt hab ich nicht mal eine Leckerei für ihn.»
    Ohne den Umhang abzulegen, humpelte sie zu Agnes und nahm ihr den Jungen aus dem Arm, herzte und küsste ihn.
    Agnes lachte. «Man könnte meinen, er sei dein Enkelkind.» Sie nahm ihr den Umhang von den Schultern.
    «Ist er auch. Das einzige Enkelchen, dass ich habe. Jetzt schenk mir endlich einen Schluck ein, auf meinen Alten

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