Die Gauklerin
zubereitet wurden. An einem Spieß drehten sich mindestens zwanzig Hühner über dem Feuer. Hier war also das Reich des Hofküchenmeisters mit seinen Köchen: dem Soßenkoch, dem Suppenkoch, dem Süßspeisenmeister, dem Pastetenkoch, dem Bratmeister, dem Salzkoch und den Gesindeköchen. Auf einer Empore stand der Meister, an ein Pult gelehnt, und diktierte dem Küchenschreiber die Einkäufe.
Else wartete stumm, bis der untersetzte Mann mit der hohen blütenweißen Haube aufsah. Seine Gesichtszüge waren so schwammig und grob wie sein Leib, die hängende Unterlippe hätte einem Habsburger zur Ehre gereicht.
«Ist sie das?», fragte er Else.
«Jawohl, Meister.»
Der Dicke musterte Agnes von oben bis unten. Dabei verweilte sein Blick deutlich länger auf ihrem Busen und auf ihren Hüften.
«Name?» Er nickte dem Schreiber zu, der ein neues Blatt nahm.
«Agnes Marxin, verheiratete Schwenkin.»
«Herkunft?»
«Ravensburg. Seit eineinhalb Jahren in Stuttgart.»
«Kinder?»
«Einen Sohn, ein Jahr alt.»
Der Küchenmeister runzelte die Stirn. «Dass du dich unterstehst, ihn mitzubringen. Kinder haben in der Küche keinen Zutritt.»
Agnes warf einen Blick auf die Schar Kinder, die gerade quer durch die Küche tobte, dann nickte sie. «Und du wohnst bei der Steigerin?»
Sie hörte das Abfällige in seiner Frage deutlich heraus.
«Ja.» Dir Schnauzhahn werd ich’s schon zeigen, dachte sie und straffte die Schultern.
«Nun denn – die beiden Spülmägde sollen dich gleich einweisen. Und du», wandte er sich an Else, «kannst gehen. Ich sehe dich dann nächsten Sonntag.»
«Viel Glück», flüsterte die Alte Agnes ins Ohr und machte sich aus dem Staub, so rasch es ihr schlimmes Bein erlaubte.
Luise und Gerlind sprachen indessen kein Wort zu viel mit der Neuen. Nachdem Agnes den Abwasch der vergangenen Nacht blitzblank gespült, abgetrocknet, poliert und an seinen Platzzurückgestellt hatte, holte sie eimerweise frisches Wasser für die Bottiche. Der Brunnen lag in einem winzigen Innenhof, in den den ganzen Tag kein Sonnenstrahl fiel. Ein verwinkelter Gang, der von der Gesindeküche aus über ein sehr enges Treppenhaus zu erreichen war, führte dorthin. Überhaupt schien es hier im Schloss von steilen Treppen, geheimnisvollen Türen und Gängen nur zu wimmeln.
Sie hatte noch nicht den letzten Eimer Frischwasser ins Becken geleert, da brüllte auch schon die Obermagd in ihre Richtung, ob sie wohl schlafe; draußen im Vorraum bögen sich die Bretter unter den dreckigen Tellern. Und so ging es in einem fort. Kaum hatte Agnes das Geschirr einer Mahlzeit gesäubert und das Wasser erneuert, warteten Berge von neuem Schmutzgeschirr auf sie. Konnte es denn sein, dass bei Hofe von morgens bis in die Nacht unablässig gegessen und getrunken wurde?
Schließlich fand auch dieser Tag sein Ende. Doch als der Küchenmeister, nachdem er seine Anweisungen an die Nachtköche ausgegeben hatte, zum Feierabend rief und die Knechte und Mägde ihre Schürzen und Kittel an die Haken hängen durften, wurde Agnes zurückgepfiffen: Gemeinsam mit Franz musste sie noch die mit Ziegeln gepflasterten Böden kehren und nass auswischen, dann erst wurde ihnen erlaubt zu gehen – der Junge auf seine Gesindestube, sie selbst in die einbrechende Dämmerung.
An diesem ersten Abend fand sie nicht einmal mehr die Kraft, ihren Sohn auf den Arm zu nehmen, so schmerzhaft spürte sie jeden einzelnen Knochen. Ärger noch allerdings nagte in ihr die Wut darüber, dass sie von allen gescheucht worden war wie ein Maulesel und bereits nach wenigen Stunden rundum ‹Gauklerin› gerufen worden war. Wie sie diesen Spottnamen inzwischen hasste! Sie würde es diesem Volk schon noch zeigen.
So biss sie die nächsten Tage die Zähne zusammen, ließ sich ihren Ärger nicht anmerken, obgleich sie öfters nahe daran war, den Bettel hinzuschmeißen. Und sie hielt durch. Der Stolz amEnde der Woche, als sie ihren ersten Lohn in Händen hielt, machte denn auch alles wieder wett.
Der zwölfjährige Küchenjunge mit seinen dürren Ärmchen und dem für sein Alter viel zu ernsten Gesicht war zunächst der Einzige, mit dem sie hin und wieder ein paar Worte wechselte. Wenn er nicht gerade die bleischweren Körbe voller Buchenholz aus dem Holzmagazin heranschleppte, war Franz für das Drehen der Spieße und den Holzkohlevorrat für die offenen Feuerstellen verantwortlich. Ein wenig erinnerte er Agnes an Jakob, und ab und an überfiel sie aus diesem Grunde heftiges
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