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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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die Alte den Sturm, der in ihrem Innern tobte, bändigen.
    «Wer schreibt?», fragte Else.
    «Jakob», flüsterte Agnes. «Mein jüngerer Bruder.»
    «Potz Strahl – du bist ja totenbleich. Ist deiner Familie etwas zugestoßen?»
    Agnes schüttelte den Kopf. «Ich soll nach Hause kommen.»

8
    Das Jahr 1624 war ein Friedensjahr, und die Stuttgarter hegten bald die Hoffnung, dass der Krieg niemals mehr in den Süden Deutschlands zurückkehren würde. Er hatte doch wahrlich schon genug Opfer von ihrem Herzogtum gefordert, nicht zuletzt mit dem Tod des jungen Herzogsbruders Magnus, der auf dem Schlachtfeld bei Wimpfen qualvoll gestorben war und für dessen zerschossenen Leichnam der Herzog auch noch ein hohes Lösegeld hatte zahlen müssen.
    Zwar gab es nach wie vor Übergriffe auf die Grenzdörfer zum besetzten Baden und zur Pfalz hin, zwar hatte der Kaiser Quartier und Musterplätze im schwäbischen und fränkischen Kreis für über vierzigtausend Mann verlangt, doch blieb die Residenzstadt selbst von Söldnerscharen verschont. Der württembergische Herzog hielt sich weiterhin neutral, auch wenn es ihn manches Mal hart ankam, wie bei dem grausigen Vorfall im nahen Leonberg: Ein Aufgebot von über sechzig tapferen Bürgern hatte eine Quartiernahme in ihrer Stadt verhindern wollen, fast sämtlich wurden sie von Tillys Truppen hingemetzelt.
    Über all das disputierte man lebhaft in den Gassen und Weinbergen, in den Werkstätten und Krämerlauben. Doch je näher das Jahresende rückte, desto mehr trat der Krieg in den Hintergrund. Die Menschen erfüllte nur noch eine Sorge: die einsetzende Teuerung. Nach einem harten, eisigen Winter war es im Februar mit einem Schlage so warm geworden, dass allerortendie Veilchen blühten. Kurz darauf hatte die Schneeschmelze im Neckartal und im Stuttgarter Talkessel für Überschwemmungen gesorgt. Dann erfror die Obstblüte unter einem späten Frost, dem unmittelbar ein solch heißer und trockener Sommer folgte, dass das Getreide auf dem Halm verdorrte. Damit nicht genug, hatte ein einziges Hagelwetter auf Stuttgarter Gemarkung fast die gesamte Rebfläche, an die neunhundert Morgen, vernichtet. Dabei war schon im Vorjahr die Weinernte missraten. So lag die Wirtschaft im Land bald überall im Argen, eine Teuerung drohte, übler als alle vorigen.
    Zu jedermanns Erstaunen hörte man von dieser verkehrten Witterung aus dem ganzen süddeutschen Land, und in einigen Herrschaftsgebieten wusste man auch, wo die Schuldigen zu finden waren. So ließen die Bischöfe von Bamberg und Würzburg unzählige Hexen und Zauberer gefangen setzen und verbrennen, darunter auch den Bamberger Bürgermeister.
    Je mehr die Leute jammerten, desto gnädiger zeigte sich das Schicksal Agnes gegenüber. Seit weit über einem Jahr arbeitete sie nun schon in der Schlossküche, und dass sich etwas verändert hatte, bemerkte sie spätestens, als jeder sie mit ihrem Vornamen oder Vatersnamen ansprach. «Gauklerin» kam höchstens ab und an der ruppigen Gerlind über die Lippen. Doch der nahm es Agnes nicht einmal übel, schließlich war diese hünenhafte, rotgesichtige Frau mindestens ebenso scharfzüngig wie ihre alte Freundin Else und dabei von ähnlich gutmütiger Art.
    Einmal – es war noch vor der glühenden Hitze des Sommers gewesen – hatte Agnes in der Hauptküche zu tun, da kamen drei Knaben hereingestürmt. Der Älteste, vielleicht neun, höchstens zehn Jahre alt, rannte vorweg, geradewegs in das Reich des Süßspeisenkochs. Es war ein stämmiger Bursche mit rundem, vom Laufen erhitzten Gesicht. Ihm hinterher kam ein zierlicherer Junge, etwa ein Jahr jünger, und schließlich, weit hintendran und mit weinerlicher Miene, ein Knirps von sechs oder sieben Jahren.Obwohl sie aussahen, als hätten sie auf der Miste gespielt, und auch ihre Haare vor Staub und Dreck starrten, erkannte Agnes sofort, dass diese Bengel keine Gesindekinder waren. Gehört hatte sie ihr lautes Geschrei allerdings schon des Öfteren.
    «Eberhard! Friedrich! Mögen Sie wohl die Finger von der Mandelpastete lassen!» Der Küchenmeister drohte ihnen scherzhaft mit dem Zeigefinger.
    Die Obermagd winkte sie heran. «Kommet no, i hab was Feines.»
    Sie drückte den Buben eine Schüssel mit Fettgebackenem und Zuckerkringeln in die Hand. Artig bedankte sich der Mittlere, während der stämmige Junge mit dem runden Gesicht Agnes anstarrte.
    «Wer ist sie?», fragte er in Richtung des Meisters.
    «Das ist Agnes aus Ravensburg, Euer Liebden.»
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