Die Gauklerin
Himmelbett. Agnes gab ihm einen Klaps aufs Hinterteil. «Untersteh dich – das ist das Bett der Prinzessin, hast du verstanden? Und jetzt setz dich wieder an den Tisch und mal weiter.»
Nachdem Agnes notgedrungen ein zweites Mal an diesem Morgen Prinzessin Antonias Bett gemacht hatte, trat sie ans Fenster und sah hinaus. Seit gestern regnete es, davor hatte es gestürmt. Was war das nur für ein Sommer: Sturm wechselte mit Regen, Regen mit Sturm. Dabei war der Juni schon zur Hälfte vorüber und noch kein einziger warmer Sommertag übers Land gekommen.
Sie betrachtete den ‹Garten der Herzogin› unter sich, der sich neben dem prächtigen Lustgarten geradezu winzig und bescheiden ausmachte und ihr dennoch fast ebenso lieb war. In seiner Mitte, wo sich die hellen Kieswege kreuzten, erhob sich ein hübscher achteckiger Pavillon, der eine Sammlung von aus Stein gehauenen Tierskulpturen barg. Die strenge Symmetrie der Wege und der von Buchs gesäumten Beetflächen sah jetzt, hinter dem nassen Fensterglas, verwischt und verwackelt aus, gerade als habe ein Künstler das Bild mit zitternder Hand gemalt. Blass lagen die Blumenbeete, sonst für ihre Farbenpracht und Leuchtkraft in der ganzen Residenz gerühmt, unter grauem Himmel. Die Oleanderstöcke rund um den Pavillon hatten die Blüte verweigert, die Pomeranzen und Zitronenbäumchen waren erst gar nicht aus ihrem Winterquartier in den Feigenhäusern geholt worden.
An manchen Tagen erschien Agnes all das wie ein Traum. Jener frostige Tag, an dem das Fräulein von Württemberg sie im Lustgarten ertappt hatte, hatte ihrem Leben eine wundersame Wendung gegeben. Voll böser Ahnungen war sie Antonia ins Schloss gefolgt, geradewegs ins Ankleidezimmer der Herzogin Barbara Sophia. Sie hatte erwartet, bestraft zu werden oder doch zumindest ihre Stellung zu verlieren. Stattdessen hatte Antonia ihrer Mutter erklärt, sie bitte inständig um ein eigenes Zimmer und ein eigenes Kinderfräulein, und Agnes scheine ihr dazu mehr als geeignet. Bei ihren jüngsten Geschwistern und deren schwatzhaften Kinderfrauen finde sie nämlich durchaus keine Ruhe zum Lesen. Mit müden Augen hatte die Herzogin Agnes gemustert.Ihr breites, ein wenig aufgeschwemmtes Gesicht mit den nach unten gezogenen Mundwinkeln wirkte kränklich. Auf ihre Frage, woher ihre Tochter diese Jungfer kenne, hatte Antonia erwidert, Agnes sei Magd in der Küche, und mit einem Ausdruck des Entsetzens auf ihrem weiß gepuderten Gesicht hatte Barbara Sophia gerufen: «Eine Küchenmagd? Zu uns ins herzogliche Frauenzimmer?» Agnes hatte nicht gewagt, das Wort zu ergreifen, zudem war sie noch immer vollkommen entgeistert von Prinzessin Antonias Wunsch, sie zum Kammerfräulein zu machen. Doch nun geschah etwas noch Erstaunlicheres – die Prinzessin überzeugte ihre Mutter mit wenigen Sätzen, indem sie Dinge vorbrachte, die sie wer weiß wo in Erfahrung gebracht hatte: Agnes sei die Tochter eines Ravensburger Schulmeisters, brav lutherisch, und verdinge sich als Küchenmagd nur, um ihren kleinen Sohn durchzubringen, da ihr Mann im Krieg verschollen sei. Sie sei des Lesens und Schreibens kundig und rechne schneller als Wilhelm Schickhardts neumodische Rechenmaschine. Und – dabei hatte sie Agnes verschmitzt angelächelt – Agnes liebe Blumen ebenso wie sie selbst.
Gleich am nächsten Morgen war sie mit David in den Gesindetrakt des Schlosses eingezogen, in ein schmuckloses, jedoch helles und geräumiges Zimmer, dass sie mit drei weiteren Bediensteten teilte. Der Abschied von Else war sie härter angekommen, als sie gedacht hatte, und der Alten waren die Augen übergelaufen, während sie dem kleinen David nachwinkte. Das war nicht der einzige Wermutstropfen, der sich in ihr Glück mischte. Weitaus schmerzhafter war, dass sie nun nicht nach Ravensburg zurückkehren konnte, zumindest in nächster Zeit nicht, denn was ihr geschehen war, war ein Geschenk des Himmels, das sie nicht aus den Händen geben durfte.
Agnes trat vom Fenster zurück und musste lächeln. Sie begriff bis heute nicht, warum Prinzessin Antonia gerade an ihr solch einen Narren gefressen hatte. Nach den ganzen Jahren voll Elendlebte sie jetzt fast wie die Made im Speck. Ihre Aufgabe bestand in nichts weiter als darin, Antonia beim An- und Auskleiden zu helfen, des Morgens ihr Zimmer zu richten, hin und wieder mit ihr Rechnen zu üben oder ihr anderweitig Gesellschaft zu leisten und vor dem Schlafengehen gemeinsam mit ihr zu lesen.
Dabei staunte Agnes jedes
Weitere Kostenlose Bücher