Die Gauklerin
ihnen der Zahlmeister geraten, dazu derbes Schuhwerk und dicke Strümpfe, sonst würde ihnen das Leben schon nach zwei Wochen zur Hölle.
Matthes und Gottfried kauften sich Leinenhemd und Lederwams sowie einen weiten, dicken Umhang und einen Filzhut, die sie gegen Kälte und Regen schützen würden. Von dem übrigen Krimskrams wie Alraunmännchen, Heiligenbildchen, Spitzenkragen oder bunten Hutfedern, der ihnen allenthalben angeboten wurde, nahmen sie Abstand, da sie ihr restliches Geld zusammenhalten wollten und ohnehin alles überteuert schien. Dafür gönnten sie sich einen Krug Bier, um den Abschied von ihrem Bürgersleben gehörig zu feiern.
Kurze Trommelschläge verkündeten viel zu bald den Abendappell, und sie beeilten sich, zu ihrer Mannschaft zu kommen. Mit bellender Stimme ließ der Feldweybel seine Rekruten antreten,dann marschierten sie Schulter an Schulter zu einem freien Platz, wo bereits Hunderte von Fußknechten in Reih und Glied standen. Der Hauptmann ihres Fähnleins war ein gedrungener Italiener aus Neapel namens Batista de Parada. Sein Gesicht hatte etwas Melancholisches, es schien gerade so, als zweifle er nicht nur an den Fähigkeiten der Rekruten, sondern überhaupt an dem Sinn seiner Mission. Während er das Fähnlein Mann für Mann abschritt, schweifte sein Blick in die Ferne. Dann straffte sich seine Brust hinter der roten Schärpe. Er stellte sich zu den anderen Hauptleuten, und die Fähnriche der einzelnen Fähnlein mussten vortreten. Zu den Worten ‹Als eine Braut, als eine Tochter – von der rechten Hand in die linke Hand› nahmen sie ihre blau-goldene Fahne entgegen, entrollten sie unter dem dumpfen Schlag der Trommeln und schwenkten sie in den Abendwind. In fünffacher Ausführung lächelte die Mutter Gottes mit ihrem Kind im Arm huldvoll auf die gut fünfhundert Infanteristen hernieder.
Der Himmel hinter den Hügeln begann sich rot zu verfärben, und Matthes kämpfte gegen die Ergriffenheit an, die ihm ganz unvermutet in die Kehle fuhr. Nun war er Teil eines auserwählten Ganzen – hier zählten nicht mehr Stammbaum und Katechismus, nur noch, wohin sie gemeinsam marschierten. Längst war ihm aufgefallen, dass die Männer im Lager alle erdenklichen Mundarten sprachen, ja selbst Dänen, Wallonen, Lombarden oder andere Welsche fanden sich hier und da. Und trotzdem waren sie alle gleich, zusammengeschmiedet zu einem einzigen Stück.
Die Trommeln verstummten, und mit klarer Stimme sprach Matthes im Gleichklang mit den anderen den Eid nach, schwor, dem Fähnrich in den Tod zu folgen, solange die Fahne wehe, und dass des Todes sei, wer im Kampf von der Fahne fliehe. Nachdem Hauptmann de Parada die Artikel des Kriegsrechts verlesen hatte, erhielten sie ihre Arm- und Hutbänder, die sie von den Feinden unterscheiden würden. Dann kam der Befehl zum Abtreten.
Die folgenden zwei Wochen vergingen mit Waffen- und Leibesübungen, dem Formieren und Ausbilden der Einheiten. Matthes und Gottfried waren den Pikenieren zugeteilt. Sie lernten ihre Spieße handhaben, mit den Handschützen zur Seite unterschiedliche Gefechtsstellungen einzunehmen und in der spanischen Formation des Terzio, einem fünfzig Mann breiten, zwanzig Mann tiefen Geviert, Scheinangriffe gegen unsichtbare Truppen zu führen. Dabei jagten Feldweybel und Corporale sie über die umliegenden Felder, bis in weitem Umkreis alles zerstampft und brach darniederlag. Der Feldweybel ihres Fähnleins, der in der Kompanie als scharfer Hund verschrien war und wie zum Hohn den Namen Sanftleben trug, brachte mehr als einmal mit der Fuhrmannspeitsche Ordnung in ihre Reihen. In den späten Nachmittagsstunden dann kam Hauptmann de Parada mit seinem Leutnant angeritten und postierte sich auf einem der Hügel, um mit unbewegter Miene seine exerzierenden Soldaten zu beobachten. Von dort oben, dachte sich Matthes, mussten die mehr oder weniger quadratischen Gevierthaufen der Pikeniere aussehen wie viereckige Nadelkissen.
Nach Ablauf der zweiten Woche schien der Hauptmann zufrieden, denn nachdem er sie zum Abendappell hatte antreten lassen, spendierte er ein Fass Bier.
«Vergesst niemals, was ihr in diesen Tagen gelernt habt, vergesst niemals, wofür ihr kämpft. Und jetzt esst und trinkt, morgen wird das Lager aufgelöst, dann ziehen wir nach Eger, um uns dem neuen Heer von General Wallenstein anzuschließen, dem Herzog von Friedland.»
«David! Komm auf der Stelle da heraus!»
Wiederwillig kletterte der Dreijährige aus dem sammetroten
Weitere Kostenlose Bücher