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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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um den Hals gelegt.
    «Trag es immer bei dir. Es soll dir helfen, fest zu sein gegen Schuss, Hieb und Feuer. Gott schütze dich.»
    Matthes war sich mit einem Mal vorgekommen wie ein Haderlump. Doch wie hätte er dem Bruder die wahren Gründe seines plötzlichen Entschlusses erklären sollen, wo er sie selbst nichtgenau kannte? Er wusste nur eins: Wo sein Vater ihm endlich ein Freund geworden war, hatte der Tod ihn entrissen.
    Jetzt tastete Matthes nach dem Amulett unter seinem Lederwams und warf einen verstohlenen Blick auf Gottfried, der munter seine Scherze mit den anderen trieb. Wie etliche der jüngeren Burschen trug er die als verwegen geltenden knielangen Hosen, die weit waren wie ein Weiberrock und mit bunten Bändern versehen, dazu einen breitkrempigen Federhut und ein Paar Stulpenstiefel, für die er sein letztes Geld ausgegeben hatte.
    Matthes fühlte sich müde und erschöpft. Dabei waren die drei Wegstunden von Ravensburg hierher eine Lappalie gewesen im Vergleich zu dem, was ihnen noch bevorstand: Bis ins Fränkische sollten sie noch marschieren, ohne Rast am Tage, unter den Argusaugen ihres Leutnants und einiger Aufpasser, damit sich ja keiner mit dem Anlaufgeld aus dem Staub mache. Dort dann würde die eigentliche Musterung stattfinden.
    Zur Mittagszeit setzte sich der Haufen aus rund fünfzig Männern endlich in Marsch, vorweg der Leutnant mit zwei Feldweybeln auf kräftigen Rössern, hintenan der Schreiber, die Trommler und ein Wachmann. Mit fröhlichen Liedern auf den Lippen schritten sie voran, zunächst hinüber nach Wangen, wo sich ihnen nochmal drei Dutzend frisch gebackener Söldner anschlossen, dann weiter, unter endlosem Nieselregen, das Tal der Iller hinauf bis kurz vor die Mauern der Reichsstadt Ulm. Das breite Tal der Donau empfing sie mit Nebel, dem sie erst entkamen, als sie hinter Donauwörth die Fränkische Alb erstiegen. Sie marschierten auf den breiten Landstraßen der Fernhändler und auf den holprigen Pfaden der Viehhirten und Waldarbeiter, vorbei an Dörfern, die wie ausgestorben schienen, mit verriegelten Toren und geschlossenen Fensterläden, durch Hofstätten hindurch, die nicht von einem einzigen Stück Federvieh bevölkert waren. Die wenigen Bauern auf den Feldern blickten misstrauisch, nur die Kinder winkten ihnen zu.
    Vom Stadtpfarrer wie auch aus den Hetzschriften, die einige Kriegsgegner in Umlauf gebracht hatten, wusste Matthes um die Angst der Landbewohner vor den Soldatenvölkern, vor Plünderungen und Übergriffen. Zu seiner Erleichterung jedoch ging die Beschaffung des Proviants ihren geregelten Gang: Allabendlich richtete der Großteil der Truppe das Nachtlager, während die Feldweybel mit einigen auserwählten Männern in die Dörfer zogen, um Brot und Mehl, Käse und Eier einzutreiben. Bei diesem Geschäft – an einem Abend war Matthes dieser Gruppe zugeteilt gewesen – zeigten sich ihre Anführer von der höflichsten Seite. Es brauchte nur wenige Worte und die Ankündigung, dass mit Heller und Pfennig bezahlt werde, damit sich Riegel und Läden der Häuser öffneten und die braven Bauern von ihren Vorräten abgaben. So war das also, hatte Matthes bei sich gedacht. Das Schreckensbild einer plündernden, mordbrennenden Soldateska erwies sich als Lügengespinst, von böswilligen Geistern in die Welt gesetzt.
    Marschiert wurde fürwahr in zügigem Schritt, vom Morgen bis zum späten Nachmittag ohne Rast. Satt zu essen gab es nur am Abend, und des Nachts schliefen sie meist unter Planen auf dem harten Boden. Mehr als einer von ihnen machte sich, trotz der strengen Bewachung, schließlich aus dem Staub.
    Bettseicher, dachte Matthes verächtlich. Er selbst wurde, je weiter sie sich von seiner Heimat entfernten, umso wacher, und der Schmerz darüber, dass er seinem Vater in dessen letzten Stunden nicht zur Seite gestanden hatte, schwand. Gleichermaßen lockerte sich allmählich der böse Stachel in seinem Gewissen, er habe seine Mutter schmählich im Stich gelassen.
    Nach neun Tagen gelangten sie an ihr Ziel. Schon von weitem sahen sie die vielen Rauchsäulen, die sich in den erstmals blauen Himmel kräuselten. Nachdem sie einen letzten Hügel erklommen hatten, lag vor ihnen, unweit eines kleinen Landstädtchens, der Musterplatz. Zelt reihte sich an Zelt, Gespann an Gespann,dazwischen wimmelte es von Männern jeglichen Alters: die einen halb in Lumpen, mit ausgemergelten Gesichtern, andere à la mode gekleidet, stolz und aufgeblasen wie adlige Gecken. Hier und da

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