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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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aus der Enge seiner Heimat gedrängt und die er im dumpfen Alltag der letzten Monate beinahe verloren gewähnthatte. Bereitwillig ließ er sich, nachdem sie ihren Monatssold abgeholt hatten, von Gottfried überreden, durch die Vorstadtschenken zu ziehen. Er soff und würfelte mit ihm, grölte Soldatenlieder, fand sich in den Armen irgendwelcher Frauen, deren Gesichter keine Bedeutung hatten, tanzte und kokettierte mit ihnen, bis er schließlich einer in die Kammer folgte, trunken und liebestoll, wo er am nächsten Morgen allein und mit schwerem Kopf erwachte, ohne sich an etwas erinnern zu können.
    Gleichwohl sollte es noch Tage dauern, bis er endlich in die erste Schlacht ziehen durfte. Zuvor wurde er Zeuge eines hässlichen Vorfalls, in den er beinahe selbst verwickelt gewesen wäre. Sie waren auf dem Weg zur Arbeit, als sie nahe dem Elbufer, wo das Palisadenholz gelagert wurde, den Tumult bemerkten: Ein Haufen aufgebrachter Söldner hatte sich unter einer alten Eiche zusammengerottet, sie schrien und fluchten und stießen ihre Hacken und Spaten in die Luft. Erst beim Näherkommen gewahrte Matthes die vier Männer, die an den Stamm gebunden waren, vor ihnen mit hochrotem Gesicht und gekreuzten Spießen der Stockmeister und seine Steckenknechte. Ganz offensichtlich versuchten sie die Meute daran zu hindern, die vier Gefangenen gewaltsam zu befreien.
    Gottfried blieb stehen. «Das ist doch der Bartl aus Wangen, dort am Baum! Und die andern drei sind neulich von Tillys Truppen zu uns gestoßen.»
    Jetzt hatte auch Matthes den Jungen erkannt; er war von Beginn an in ihrer Rotte gewesen. Erst gestern Abend hatte er sie beide überreden wollen, mitzukommen zu einem Weiler, wo die Bauern höchst ansehnliche Töchter hätten. Doch sie hatten abgelehnt – Gottfried, weil er zu einem Stelldichein mit seinem neuen Mädchen wollte, Matthes, weil er den tollköpfigen, selbstgefälligen Bartl nicht riechen konnte.
    «Was ist hier los?», fragte er einen der Umstehenden.
    «Die vier am Baum haben sich gestern Abend an ein paarDorfmädchen rangemacht. Wurden dann wohl rabiat, als die Väter ihre Töchter ins Haus einschlossen, und wollten dafür ein Schaf von der Weide klauen. Dann haben sie den Bauern, der sich ihnen in den Weg stellte, über den Haufen geschossen.»
    «Mein Gott!»
    In diesem Moment sah Matthes keinen Geringeren als Albrecht von Wallenstein herangaloppieren, gefolgt vom Profos ihres Regiments. Seit gestern hielt ihr oberster General sich hier auf. Es hieß, er habe sein Quartier in Aschersleben, von wo er einen Angriff gegen den Dänenkönig vorbereitete, eigens verlassen, um die Fortschritte der Fortifikationen zu inspizieren.
    Mit unbewegtem Gesicht preschte der General jetzt mitten in die Menge der Meuternden, die erschreckt auseinander stob. Vor dem Baum brachte er seinen Rappen zum Stehen. In diesem Moment hätte man eine Nadel fallen hören können.
    «Kruzitürken!», begann Wallenstein zu brüllen. «Was seid ihr für erbärmliches Soldatengeschmeiß!»
    Bis auf den Profos und seine Gehilfen waren alle zurückgewichen, nur Matthes blieb wie gebannt stehen. Deutlich sah er die dunklen Augen seines Feldherrn im Morgenlicht aufblitzen, die edlen Züge waren vor Zorn verzerrt. Jetzt ließ er sein Pferd dicht vor den Gefangenen tänzeln.
    «Wer wider die Bauern und Bürger geht, ist schlimmer als die Pest. Von der Erde, von der wir in diesem Jahr leben, müssen wir auch im nächsten Jahr leben. Wer bestellt die Erde, wenn nicht der Bauer? Wer bezahlt die Kontributionen für unser Heer, wenn nicht der Kaufmann und der Handwerker? Wer wider die Bürger und Bauern geht, verdient den Tod. Henkt sie!»
    Dann warf er sein Pferd herum und preschte davon.
    «Rasch, lass uns weitergehen», drängte Matthes. Als sie am Abend wieder an der Eiche vorbeikamen, schaukelten in den Ästen vier leblose Körper.
    «Das hätte nicht sein müssen», sagte Gottfried leise. AuchMatthes war entsetzt. Und dennoch: Er sah sich in seinem Glauben bestätigt, auf der Seite der Ordnung zu stehen und für die richtige Sache zu kämpfen.
    Drei Tage später wurden sie bei Dunkelheit aus dem Schlaf gerissen. Der gellende Ruf der Trompeten verkündete, dass der Feind im Anzug sei. Es galt, keine Zeit zu verlieren.
    Matthes war sofort hellwach, riss Gottfried in die Höhe, zerrte Pike, Dolch, Armbinde und Sturmhaube aus ihrem Zelt und rannte in die zu Ende gehende Nacht. Wie ein reißender Strom ergoss sich die Masse der Soldaten aus dem

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