Die Gauklerin
abgewöhnt hatte. «Ich weiß ohnehin nicht, wie ich Euch dafür danken kann, Euch und Eurer gütigen Tante Anna.»
Agnes wusste: Viele im herzoglichen Haushalt verfolgten mit gehobenen Augenbrauen, dass ihr Junge in den Räumen des Schlosses inzwischen herumtollte, als sei er hier zu Hause, und dass zu seinen Spielkameraden neben den Kindern der Hofbeamten und Kammerjunkern auch die Jüngsten der Herzogfamilie gehörten.
«Ach Unsinn!» Die Prinzessin lächelte schüchtern. «Hör zu, Agnes. Ich mag nicht zusehen, wie du dich um deine Muttergrämst. Wann immer du ihr schreiben möchtest, tu das. Mach dir keine Gedanken um die Kosten. Mein Vater schickt jeden Tag so viele Kuriere, Aktenträger und Novellanten durch die Lande, denen geben wir deine Briefe einfach mit.»
«Ich danke Euch, Prinzessin.»
«Und vielleicht überlegt es sich deine Mutter ja doch einmal anders.» Jetzt ließ auch Antonia ihre Stickarbeit sinken. «Ich denke oft, wie gut es das Schicksal mit mir meint. Dass ich meine Familie um mich haben darf und wir hier in Sicherheit sind. Es ist ein Segen, dass mein Vater sich neutral hält, und wenn es ihm noch so viele Schlaumeier als Feigheit auslegen.»
Agnes nickte. «Er tut gut daran. Wisst Ihr, Prinzessin Antonia, was mich am meisten bekümmert? Dass mein Bruder gegen die Protestanten kämpft, gegen seine eigenen Glaubensbrüder. Dass er auf der falschen Seite steht. Es geht in diesem Krieg doch darum, ob Glaube und Freiheit ausgerottet werden oder bestehen bleiben. Und Matthes kämpft für deren Ausrottung.» Sie seufzte. «Ob Luther seine Reformation durchgeführt hätte, wenn er gewusst hätte, welches Elend er damit übers Land bringt?»
Antonia verzog ihren fein geschnittenen Mund. «Aber Agnes, du glaubst doch nicht wirklich, dass es in diesem Krieg um den rechten Glauben geht? Es geht nur um Macht und um Geld! Die Söldner wollen plündern, die Obristen ihren Ruhm und Reichtum mehren. Und die frechsten Nutznießer sind die Minister und Generäle: War der böhmische Krieg für Wallenstein nicht ein glänzendes Geschäft? Wer ist denn zum reichsten Mann im Land geworden, indem er Güter über Güter erschachert und zusammengeraspelt hat? Wallensteins Herzogtum steht in Blüte; das übrige Böhmen liegt wüst und elend.»
Agnes schwieg verblüfft. Stets aufs Neue erstaunte es sie, worüber sich dieses Mädchen seine Gedanken machte. Es war geradezu unheimlich. Ein zwölfjähriges Mädchen, zumal fürstlichen Standes, sollte sich am Leben freuen und sich mit den schönenDingen beschäftigen, mit Musik, Handarbeiten oder erbaulichen Büchern. Stattdessen dachte Antonia über die Weltläufte nach und philosophierte über Wahrheit oder Religion.
«Woher wisst Ihr das alles, Prinzessin?»
Eine leichte Röte huschte über die Wangen des Mädchens. «Aus den Gesprächen im Frauenzimmer. Und – nun ja, aus der Frankfurter Postzeitung, die jede Woche mit dem Postreiter kommt. Wenn mein Vater und der Hofmarschall mit seinen Chargen die Lektüre beendet haben, landen die Novellen in einer kleinen Truhe in Vaters Kabinett. Von dort hole ich sie mir dann. Heimlich», setzte sie leise hinzu. «Das ist, als ob man im Buch der Welt lesen würde: Du erfährst, was in Rom, Wien und Prag geschieht, im Osmanischen Reich und in Persien, ja selbst in Neuspanien und Indien. Und dann natürlich alles über diesen schrecklichen Krieg.»
Agnes lächelte. «Lasst uns über andere Dinge sprechen. Was machen Eure Lateinkenntnisse?»
«Ich bin bald besser als all meine Brüder.» Ihre braunen Augen verengten sich zu lustigen Schlitzen. Dann wurde sie wieder ernst. «Denkst du noch manchmal an deinen Mann?»
«Nein!» Agnes schüttelte heftig den Kopf. «Das heißt – doch. David ähnelt seinem Vater von Tag zu Tag mehr.»
Seit zwei Tagen hielten sie die zum Erzstift Magdeburg gehörige Stadt Halle besetzt, ohne dass Domherren, Magistrat oder Bürger ihnen nennenswerten Widerstand entgegengesetzt hätten. Matthes und Gottfried hatten mit einem Teil ihres Fähnleins Quartier in einem Bürgerhaus bezogen, dessen Bewohner geflohen waren, und sie machten sich nun mit Eifer daran, die zurückgelassenen Vorräte zu vertilgen.
Feldweybel Sanftleben war bester Stimmung. Sie hatten drei Fässchen Rotspon aus dem Keller in die Stube geschafft, zwei davon waren bereits geleert. «Wer kommt mit auf einen Streifzugdurch die Gassen? Hierzulande soll es die appetitlichsten Dirnen geben.»
Johlender Beifall
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